„Glaube an das Leben, trotz allem“ – Camus im O-Ton zur Verleihung des Literaturnobelpreises 1957

Kennt Ihr das auch, dass einem plötzlich ein Tag im Kalender fehlt? Jedenfalls ist heute der 19. Oktober, und selbstverständlich hätte dieser Beitrag gestern, am 18. Oktober online gehen sollen. Aber irgendwie ist der Tag verschwunden.
Gestern vor 68 Jahren, am 18. Oktober 1957 lief dieser Beitrag anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises an Albert Camus im Deutschlandfunk, wo er unter der Rubrik „Retro“ immer noch zu finden ist: „Albert Camus über sich selbst“

„Paris. Aufsehen erregte gestern wohl überall die Meldung über den diesjährigen Nobelpreisträger für Literatur: Albert Camus“, beginnt der (nicht namentlich genannte Reporter) seinen Beitrag. Er präsentiert Camus zunächst mit Lebensdaten und Werken, um dann seinen persönlichen Eindruck vom Abend zuvor zu beschreiben, als sich Camus der Presse stellte:

„Schlank, mittelgroß, unter der mächtigen Denkerstirn ein für seine kaum 40 Jahre erstaunlich zerfurchtes Gesicht, die Lippen spöttisch verzogen – so sieht Camus aus, während er uns für ein paar Minuten Rede und Antwort steht, um dann auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Selten hatte ich bei einem Schriftsteller derart den Eindruck, dass er noch mitten im Kampfe steht, mit seinen ungelösten Problemen verhaftet ist, wie bei Camus. Kein eitles Lächeln, kein Hinweis auf ein vollendetes Lebenswerk (…).

Im Folgenden fasst der Reporter die Fragen und die jeweiligen Antworten von Camus auf Deutsch zusammen, bevor Camus im O-Ton eingespielt wird (hört unbedingt mal rein! Ich finde, es ist kaum überhören, dass dieser Termin Camus nicht eben Spaß gemacht hat…).

Gefragt wird Camus unter anderem: „Man nennt Sie oft den Dichter, bei dem das Absurde der menschlichen Existenz am ehesten zum Ausdruck kommt“, und er antwortet: „Ja, das ist eines von den Worten, mit denen man den Schriftsteller einzukreisen sucht, für den Hausgebrauch. Daran bin ich nicht gebunden. Der Schriftsteller, der das Absurde am meisten gefühlt hat, den kenne ich, der ist Pascal. Ich bewundere ihn sehr, aber ich bin weit entfernt, mich mit den Klassikern zu vergleichen“. „Haben Sie an diesem Ihrem Ehrentage eine Botschaft an die Menschheit oder wird sie in ihrem nächsten Werk enthalten sein?“ – „Ganz bestimmt nicht“, schneidet Camus dem Reporter das Wort ab. (…) „Ich will nur meine Arbeit fortsetzen, die ein wichtiger Teil meines Lebens ist, ich bin auf der Suche wie so viele Menschen. Wir suchen in der Nacht mit Zittern und Zagen.“ Und der Reporter beendet seinen Beitrag:
„Aber, so schloss Camus, es gibt einen Weg, ein Licht, auf das ich mich zubewege, es heißt: Glaube an das Leben, trotz allem.“

Ein schönes Wort zum Sonntag, weshalb der Blog-Beitrag zwar einen Tag zu spät, aber doch noch rechtzeitig kommt. In diesem Sinne: Allen noch einen schönen Sonntag und à bientôt!

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Modephilosophien aus dem Musterkoffer

In dem kaum bekannten Theaterstück Das Impromptu der Philosophen macht sich Camus ungeniert über Sartre lustig. Als szenische Lesung ist es am 25. Oktober in Aachen zu erleben.

Schon 2023 hat der Berliner Regisseur Tuncay Gary eine Perle ausgegraben und auf die Bühne gebracht, die man (mich eingeschlossen) eher nicht auf dem Schirm hat, wenn man an die Theaterstücke von Camus denkt: Das Impromptu der Philosophen. Jetzt bringt er es auf Einladung der Albert Camus Gesellschaft mit dem Seniorenensemble seiner Theaterwerkstatt als szenische Lesung nach Aachen auf die „Rote Burg“.

„Das Impromptu der Philosophen ist eine satirische Auseinandersetzung mit dem Existentialismus, insbesondere mit Jean-Paul Sartre, der in dem Stück als «Handelsreisender in neuen Lehren» porträtiert wird. Camus nimmt die Existenzialisten humorvoll aufs Korn, indem er einen Bürger mit der Absurdität des Lebens konfrontiert. Das Stück ist Teil von Camus‘ Gesamtwerk, zu dem der Roman Der Fremde, der Essay Der Mythos von Sisyphos oder das Drama Caligula zählt, das sich mit der menschlichen Sinnsuche auseinandersetzt“, heißt es in der Ankündigung.

In die großen, von Camus selbst definierten Werkzyklen, ist es freilich nicht einzuordnen. Unter Pseudonym geschrieben, wurde es erst 2006 entdeckt und posthum veröffentlicht. Im Sammelband Sämtliche Dramen, die 2013 in neuer Übersetzung (Hinrich Schmidt-Henkel, Uli Aumüller) bei Rowohlt erschienen sind, ist es erstmals auf Deutsch enthalten. Hinrich Schmidt-Henkel schreibt dazu in seinem Nachwort zu den Dramen: „In dieser vergnüglichen, in Anlage, Figurenkonstellation und Zungenschlag molieresken Szene veräppelt er Sartre, dessen Gedankenwelt wie gesellschaftlichen Status. Sie ist ein amüsanter Begleitkommentar zum eigentlich schmerzlichen ideologischen und menschlichen Zwist zwischen den beiden bis zu ihrem Zerwürfnis befreundeten Denkern.“ (1) Hauptfigur ist ein gewisser Monsieur Néant, der unschwer als Jean-Paul Sartre zu identifizieren ist. Nichts Geringeres als „das neue Evangelium, dessen wahrer Apostel ich bin“ will dieser Herr Nichts dem Hausherrn, bei dem er vorstellig wird, andrehen. Zitate aus und Anspielungen auf Sartres Werk seien „wie Landminen im Text verscharrt“, schreibt Christopher Schmidt zur Neuherausgabe der Dramen in der Süddeutschen Zeitung vom 3. Dezember 2013. „Der große Sartre als windiger Klinkenputzer mit einem Musterkoffer voller Modephilosophien – dieses Setting hat schon was“, konstatiert er (die ganze Rezension auf www.bücher.de). (2)

Der Regisseur: Seit einem Jahrzehnt arbeitet Tuncay Gary mit großem Engagement an der Schnittstelle von Bildung, Kunst und Teilhabe. In seiner Literatur- und Theaterwerkstatt bringt er Kinder, Jugendliche und Senioren/Seniorinnen zusammen, um Literatur und Theater lebendig werden zu lassen – in Lesungen, szenischen Projekten und Inszenierungen von Klassikern. Der Gedanke, dass Literatur und Theater Menschen aller Altersgruppen zusammenführen können, ist Leitgedanke seiner Arbeit. Mit der Aufführung in Aachen feiert die Theaterwerkstatt ihr zehnjähriges Bestehen.

TERMIN:
Samstag, 25. Oktober 2025, 19.30 Uhr im Büchel-Museum „Rote Burg“, Büchel 14, 52062 Aachen. Eintritt 15 € (ermäßigt 10 €). Reservierungen unter kontakt@albert-camus-gesellschaft.de

MITWIRKENDE:
Beate Golisch, Gabriele Lederle, Robert Köckritz, Renate Haarhaus, Arnold Landen. Am Klavier: Vincent Julien Piot. Leitung: Tuncay Gary.

(1) Albert Camus, Sämtliche Dramen. Erweiterte Neuausgabe. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel und Uli Aumüller. Rowohlt-Verlag, Reinbek b. Hamburg 2013, S. 583
(2) Im Sinne der Nachhaltigkeit wiederaufbereitetes Textstück aus meinem Beitrag 2023.

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Lustiger und gelassener als man denkt? Albert Camus, der Humor und die Stoa

Zwei Ankündigungen sind zu machen, und ich beneide alle, die dabei sein können, die einen davon etwas mehr. Wenn es doch wenigstens eine Zugverbindung nach Lourmarin gäbe… Es geht natürlich zunächst um die diesjährigen Rencontres Méditerraéennes – wobei: Genau hingeschaut lautet es jetzt korrekt: L’estival Albert Camus des rencontres méditerraéennes. Und damit hat sich im Vergleich zu früheren Jahren ein entscheidender Unterschied etabliert: Es handelt sich nicht mehr um eine wissenschaftliche Tagung, die zwar immer für Publikum offen war, bei der sich in erster Linie aber die internationalen Camus-Experten und Expertinnen zu einem gemeinsamen Thema austauschten. Unter der Leitung von Elisabeth Maisondieu-Camus steht nunmehr der Festival-Charakter im Mittelpunkt (wie schon bei meinem letzten Besuch dort, nachzulesen hier im Blog) – mit allerlei Aktionen in Schulen, „Ateliers“ zum Mitmachen, Performances, Filmvorführung, Diskussionen und nur einem Vormittag mit gerade mal drei kurzen Vorträgen zum Festival-Thema, das in diesem Jahr lautet L’humour.

Wie viel Camus im Vortrag Humour et journalisme von Marie Bréjon steckt, wissen wir nicht; Vincenzo Matta behandelt den Humor in Camus‘ Theaterstück Der Belagerungszustand, und David Walker spricht allgemeiner über Camus et l’humour: histoire d’en rire (etwa Camus und Humor: eine lustige Geschichte). Letzterer Beitrag scheint mir am vielversprechendsten zu sein, wenn es darum geht, überhaupt erstmal Camus‘ feinen Sinn für Humor und die Schnittmengen zu Ironie und Selbstironie in seinen Werken freizulegen. Ein durchaus lohnendes Thema, bezeichnete er selbst den Humor doch als das von seinen Interpreten am meisten vernachlässigte Thema (1). Was vielleicht aber tatsächlich nicht genug für eine ganze wissenschaftliche Tagung hergäbe. Aber ob nun Tagung oder Publikumsfestival, ob wissenschaftlich ergiebig oder eher nicht – bei den Camus-Tagen in Lourmarin ist das Ganze immer mehr als seine Teile, und zum Ganzen gehören auch viele nette Begegnungen, eine heitere Atmosphäre, meist goldene spätsommerliche Tage und ein kühles Glas Rosé am Abend auf dem trubeligen Dorfplatz…

(1) Von mir bereits hier wörtlich zitiert und mit Quelle versehen: Camus im Film, Vortrag und Festival

Hier das komplette Programm, Infos und Tickets auf der Festivalseite

* * *

Aachen ist übrigens auch sehr schön

… und beim Vortrag am 6. Oktober bei der dortigen Albert Camus Gesellschaft wird man sich über mangelnde Wissenschaftlichkeit gewiss nicht beklagen können. Handelt es sich beim Referenten Niklas Keller doch um einen ausgewiesenen jungen Camus-Forscher an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Albert Camus – ein Philosoph wider willen? war im Sommersemester 2021 die dortige Ringvorlesung zu Albert Camus überschrieben – bei Niklas Keller heißt die Frage nun, ob Camus gar ein Stoiker wider willen gewesen sei. Das mag im Hinblick auf einen Denker (auch) der Revolte verblüffend scheinen, ganz abwegig ist es aber eingedenk der großen Bedeutung des griechischen Denkens für Camus durchaus nicht. Ich wünsche schon jetzt einen erkenntnisreichen Abend und sage wie immer à bientôt!

P.S. Sollte ich jetzt irgendwen mit meinem Hinweis auf die Wissenschaftlichkeit abgeschreckt haben: Die Vorträge und Gesprächskreise der Albert Camus Gesellschaft in Aachen richten sich stets ganz allgemein an jeden, der an philosophischen Themen im Allgemeinen und Camus im Besonderen interessiert ist!

Verwandte Beiträge (Auswahl):
Neugier auf die rencontres 2023 in Lourmarin (2023)
Impressionen von den XXXV. Rencontres Méditerranéennes (1) und die folgenden drei Beiträge (2018)
Albert Camus und seine Briefpartner sind Thema bei den Rencontres Méditerranéennes im Oktober in Lourmarin (2017)
Souvenirs, souvenirs… vollgepackte Tage in Lourmarin (2015)

Camus-Ringvorlesung an der Uni Düsseldorf startet am 26. April (2021)

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Erinnerung an eine Unbezähmbare

Zum heutigen fünften Todestag von Juliette Gréco

Bis zum letzten Tag meines Lebens werde ich für das Recht der Menschen kämpfen, glücklich zu werden. Ich werde also kämpfen gegen den Terror, gegen die geistige Bevormundung, gegen die Gleichgültigkeit und für das einzige Gut, das zu bewahren es sich um jeden Preis lohnt: die Freiheit. Die Freiheit, so zu leben, wie es uns gefällt, die Freiheit, lachen zu dürfen, die Gedankenfreiheit, die Freiheit, uns zu verschenken und den und das zu lieben, dem wir von ganzem Herzen zugetan sind.“ *

Das schreibt Juliette Gréco in ihrer Biographie So bin ich eben. Erinnerungen einer Unbezähmbaren – und es klingt so sehr nach Camus und so sehr danach, dass wir genau diese Haltung heute (wieder, immer noch, immer wieder) so dringend nötig haben, dass ich es heute noch einmal zitieren will. Heute, am fünften Todestag der großartigen Chanteuse und „Muse der Existenzialisten“. Was für eine Frau! Im Blog habe ich ihr bereits mehrere Beiträge gewidmet:
2013 zu ihrem 86. Geburtstag : Die schwarze Sonne glüht noch immer
Zum Tod am 23.9.2020: Jetzt ist die schwarze Sonne erloschen….
und eine Reaktion darauf: Erinnerungen: Die junge Juliette Gréco in Boppard am Rhein

– Die Chansontexte, die Camus angeblich für sie geschrieben haben soll, konnte ich leider nie ausfindig machen… Also hören wir doch einfach, wie sie eines der vielen Lieder von Georges Brassens singt – so, wie Camus sie wohl auch erlebt hat…

(*). Juliette Gréco: So bin ich eben. Erinnerungen einer Unbezähmbaren. C. Bertelsmann Verlag 2012. Es handelt sich um den Anfang des Kapitels „Die Macht der Worte“, zitiert aus der E-Book-Version).

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Francois Ozons Neuverfilmung von „Der Fremde“: Erste Eindrücke

Offiziell kommt der Film zwar erst am 29. Oktober 2025 in Frankreich auf die Leinwände, aber im Zuge der Filmfestspiele in Venedig ist jetzt doch schon davon zu hören (und ein bisschen was auch zu sehen): Die Neuverfilmung von Albert Camus‘ Roman Der Fremde (L’Étranger) durch Francois Ozon. Fast 60 Jahre nach der legendären Verfilmung durch Luchino Visconti (1967) mit Marcello Mastroianni in der Hauptrolle ist der Meursault von Benjamin Voisin hier deutlich verjüngt. Erwähnt wird der in Schwarz-Weiß gedrehte Film in so gut wie allen Berichten von den Filmfestspielen (die ich bisher sah oder las) – die Äußerungen bleiben aber ein wenig blutarm. Was hoffentlich nicht unmittelbar auf den Film schließen lässt… oder doch?

Trotz ansprechender Ästhetik und einem gerade dank seiner Zurückhaltung starken Benjamin Voisin in der Hauptrolle bleibt der Regisseur François Ozon aber den Beweis schuldig, warum es eine Neuverfilmung des schwierig zugänglichen Stoffes braucht. L’étranger bleibt dem Publikum so fremd, wie es der Filmtitel bereits andeutet“, schreibt Simon Eberhard auf dem Portal out now. Immerhin lobt er: „Tadellos hält sich dabei der Hauptdarsteller. Benjamin Voisin ist nur schon optisch eine gute Wahl für den Charakter, dem er mit seinem lethargischen Spiel eine unnahbare Aura verleiht.“

Auch taz-Kritiker Tim Caspar Boehme gefällt Benjamin Voisin als Meursault, mit leichter Einschränkung: „Der überzeugt als apathischer junger Mann ohne eigenen Antrieb im Algerien der dreißiger Jahre, wobei es zugegebenermaßen nicht ganz leicht ist, die anteilslos-distanzierte Haltung der Figur, die im Roman als Ich-Erzähler in Erscheinung tritt, von außen sichtbar zu machen. Manchmal hat man den Eindruck, Ozon verlässt sich zu sehr auf das Prinzip „Show, don’t tell“. Mit dem Ergebnis, dass Voisin hin und wieder wie ein blasiertes Model blickt, etwa wenn er in Gesellschaft knorriger älterer Trauergäste seine Mutter ganz ohne eigene Gefühlsregung beerdigt.“ Am Ende finde der Film doch einen Ton, „der nicht übertrieben dramatisch, sondern freundlich absurd klingt. Und da Ozon ein Kind der Achtziger ist, darf während des Abspanns selbstverständlich nicht der Song Killing an Arab der Band The Cure fehlen“ (aus dem taz-Beitrag über die Filmfestspiele).

Und was sagt der Regisseur selbst? Ihm sei ein „moderner Blick“ wichtig gewesen, wird er zitiert: „Ich wollte diese Geschichte über die französische Kolonialisierung in Algerien kontextualisieren und gleichzeitig die Figur des Meursault in Camus‘ Sinne so wahrheitsgetreu wie möglich darstellen(the spot mediafilm).

Nun – wie immer gilt: Man muss sich selbst ein Bild machen. Leider konnte ich noch keine Information finden, wann der Film in die deutschen Kinos kommt. Wer die Gelegenheit hat, ihn in Frankreich zu sehen: Bitte erzählt uns hier davon!

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Camus im Film, Vortrag und Festival

Wie neulich schon vermutet und jetzt bestätigt: Die Reparatur der alten Blogbeiträge, die beim Serverumzug Schaden genommen haben, erweist sich als ziemlich mühselige Angelegenheit, in der ich nur langsam vorankomme. Dabei drohe ich völlig den Anschluss zu dem zu verlieren, was in Sachen Albert Camus aktuell stattfindet. Und das soll natürlich nicht sein. Deshalb hier endlich mal wieder, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige Hinweise.

Wer den französischen TV-Sender TV5 Monde empfangen kann, sollte sich den 17. Mai, 18.41 Uhr, in den Kalender schreiben: Dann läuft dort der Film Maria Casarès – Albert Camus, toi, ma vie über die lebenslange Liebesgeschichte zwischen Camus und der Schauspielerin, die er 1944 kennen und lieben lernte. Die Regisseurin Élisabeth Kapnist drehte den Film 2022.


Maria Casarès – Albert Camus, toi, ma vie im TV Programm: 17.05. – 18:41 – TV5MONDE

Die Albert Camus Gesellschaft in Aachen veranstaltet in Kooperation mit dem LOGOI im Mai/Juni eine Reihe zu den Themen Revolte – Absurdität – Solidarität. Im Mittelpunkt steht die Ausstellung mit Fotografien von Michael Dohle und Werner Seltier, die bereits gestern, 10. Mai, eröffnet wurde (sorry, selbst jetzt bin ich schon wieder zu spät…). Früh genug ist es aber noch für die „Lesebühne“ am Dienstag, 27.5.25, 19.30 Uhr,  die ebenfalls dem Thema gewidmet sein wird. Das Konzept: Autoren stellen ihre eigenen Texte vor, die einen Bezug zu Themen aus dem Kosmos von Albert Camus haben. Anschließend gibt es stets die Gelegenheit zum Austausch untereinander und mit den Autoren. Jeder kann Texte einreichen. Mehr Infos dazu bei der Albert Camus Gesellschaft. Und zur Finissage der Ausstellung am Freitag, 13. Juni 2025, um 19 Uhr wird Jürgen Kippenhan einen Impulsvortrag zum Thema der Absurdität halten. Alle Veranstaltungen im LOGOI, Jakobstraße 25 a in Aachen.

Am 4. Juni 2025, 17 bis 19 Uhr, hält der Camus-Kenner Markus Pausch einen kostenlosen Online-Vortrag mit anschließender Diskussion mit dem Titel: Das politische Denken von Albert Camus im 21. Jahrhundert. Es geht um Leben und Werk von Camus und was wir daraus für heute lernen können. „Und das ist viel“, sagt Pausch, „denn er schrieb über die großen Themen des Lebens, der Politik und der Existenz, vom Umgang mit der Sinnlosigkeit der Welt, über Autoritarismus, über eine Epidemie und ihre Folgen, über internationale Organisationen wie die UNO und die europäische Einigung und vieles andere.“ Die tägliche Revolte gegen Autoritäre sei eine Notwendigkeit der Demokratie, betont Pausch – es sei eine Sisyphos-Arbeit, aber wie Camus sagt: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Die Teilnahme ist kostenlos, im Anschluss an den Vortrag ist eine Diskussion vorgesehen. Nach Anmeldung per Mail unter demokratie-verein@gmx.at wird der Link zugeschickt.

Und dann sind da natürlich auch dieses Jahr wieder die Rencontres méditerranéennes Albert Camus in Lourmarin: Sie finden heuer vom 3. bis 5. Oktober statt. Auf der Webseite findet sich noch nichts zum Inhalt, aber mich erreichte der Hinweise, dass das Thema sich um den „Humor in Camus‘ Theaterstücken“ drehen soll (merci, Claudie!). Das ist mal eine interessante Perspektive, denn Humor ist vermutlich etwas, was man gemeinhin nicht als allererstes mit dem Werk von Camus in Verbindung bringt. Dabei hat er selbst auf die Interview-Frage: Gibt es in Ihrem Werk ein Ihrer Meinung nach wichtiges Thema, das Sie von Ihren Interpreten vernachlässigt sehen? geantwortet: Der Humor (1).

Und den sollten wir ja sowieso nie verlieren oder vergessen, egal in welcher Lebenslage – auch, wenn’s manchmal schwerfällt! In diesem Sinne: Allen noch einen schönen Sonntag und wie immer à bientôt!

1) Ein paar Fragen in Prousts Manier. Ein spätes Interview mit Jean-Claude Brisville (1959), in >Du<. Die Zeitschrift der Kultur. Heft Nr. 6/1992: Wiederbegegnung mit Albert Camus. Zürich, Juni 1992, S. 20

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Kleiner Blog-Leitfaden zu Die Pest oder Wenn eine Camus-Bloggerin am 16. April über eine tote Maus stolpert…

 „Am Morgen des 16. April trat Dr. Bernard Rieux aus seiner Praxis und stolperte mitten auf dem Treppenabsatz über eine tote Ratte.” (1)

Das heutige Datum ist ja immer ein schöner Anlass, um (sich) wieder einmal an Die Pest zu erinnern… Allerdings bin ich gerade immer noch mit der Reparatur des Blogs beschäftigt. Beim Serverumzug haben sich unzählige Verlinkungen aufgelöst, Fotos und eingebundene Videos sind teilweise verschwunden… Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Beiträge allesamt durchzusehen und die Fehler zu beheben. Tatsächlich ist mir dabei auch schon der ein oder andere hübsche Beitrag zur Pest begegnet, obwohl ich noch gar nicht sehr weit vorgedrungen bin.

Deshalb will ich einfach noch mal sagen: Man kann gar nicht oft genug betonen, dass Die Pest ein phantastisches Buch ist. Warum das so ist, habe ich in dem Beitrag Aus der Reihe „Mein Jahrhundertbuch“: Die Pest in aller Ausführlichkeit dargelegt.

Am Morgen des 16. April: „Die Pest“ als Hörspiel ist eine Empfehlung, die ich 2013 ausgesprochen habe, und die ich immer noch uneingeschränkt aufrechterhalten kann. Beim Nachverfolgen der kaputten Verlinkung stellte ich zu meiner Freude fest, dass das 2011 vom WDR produzierte Hörspiel mit Götz Schubert als Dr. Bernard Rieux, Jürgen Tarrach als Tarrou und vielen anderen hervorragenden Stimmen immer noch beim Audio-Verlag im Programm ist, sogar als Download.

Lesenswert ist auch der Gastbeitrag von Lou Marin Albert Camus‘ Kampf gegen die „braune Pest,“ der sich auf die metaphorische politische Ebene des Romans bezieht. In der Beschreibung des „Tags der Befreiung“ von der Pest, in der Camus unverkennbar den Tag der Befreiung von der deutschen Besatzung spiegelt, wird das besonders deutlich. Nachzulesen in den Beiträgen Kalenderblatt: Paris, 25. August 1944 – Der Tag der Befreiung und Kalenderblatt: 9. Mai 1945 – Als die Fontänen der Brunnen sich erhoben.

Und dann gibt es natürlich auch das Camus-Corona-die Pest-und ich-Tagebuch, eine 13teilige Serie aus der Zeit, in der Die Pest nicht zufällig plötzlich wieder auf die Bestseller-Liste schoss und zeitweise sogar ausverkauft war. Aber wer will schon heute noch an die Zeit der Pandemie erinnert werden, die uns damals doch angeblich so viel gelehrt hat…

Dann doch lieber ein musikalischer Beitrag zum Abschluss: In Kleine Spurensuche: Camus und der Jazz geht es (mit einigen Abschweifungen) um die wunderschöne Jazz-Blues-Nummer St. James Infirmary, ein Klassiker, der gewissermaßen den Soundtrack zu Die Pest abgibt: Die Platte wird in der Bar des Hotels gespielt, in dem Tarrou wohnt, und Rambert legt sie immer wieder auf, nicht, weil er sie so sehr liebt, sondern weil er keine andere hat… Im Beitrag ist die Original-Version von Louis Armstrong eingebettet, hier nun noch eine schöne Variante von Van Morrison (Montreux 2013), die Camus ganz gewiss nicht kannte.

Vielleicht hat der ein oder die andere der geneigten Blog-Leserinnen und Camus-Freunde (und umgekehrt) ja Lust, auch nochmal im Bestand zu stöbern und dabei wie beim Ostereiersuchen (ist ja bald) die schönen Zitate aus der Pest aufzuspüren… Oder es gibt neue Besucher hier, denen die älteren Beiträge bislang entgangen sind? Ich würde mich freuen – und sage wie immer: à bientôt!

P.S. Passend zum Datum fand ich heute beim Hausputz im Landhaus zum Glück keine tote Ratte auf dem Treppenabsatz, nur eine arme Maus unter der Küchenbank.

1) Albert Camus, Die Pest. Deutsch von Uli Aumüller. Rowohlt-Verlag, Reinbek b. Hamburg 1997, S. 12.

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Albert und ich sind wieder da, und die Camus-„Lesebühne“ startet in Aachen

Puh, das war jetzt aber eine lange, ungeplante Pause im Blog… Der oder die eine oder andere hat vielleicht mal nachgeschaut und ist auf das Baustellenschild „Hier entsteht eine neue Webseite“ gestoßen. Und hat vielleicht sogar neugierig darauf gewartet, was da wohl Neues kommt… Und jetzt ist sie da und sieht genauso aus wie die Alte! Und das ist auch gut so, denn eine neue Camus-Seite hatte ich gar nicht geplant. Die alte war einfach nur kaputt, technisch gesehen. Und die Reparatur inklusive Umzugs auf einen neuen Server war offenbar auch für die engagierte Profi-Kraft gar nicht mal so einfach zu bewerkstelligen. Auch jetzt gibt es noch ein paar Macken, d.h. wer durch alte Seiten im Blog stöbert, wird sehr wahrscheinlich auf einige nicht verknüpfte Links stoßen, verschwundene Fotos oder durcheinandergepurzeltes Layout. Es kann dauern, bis ich die tausendsoundsovielen Beiträge durchgesehen und das wieder gerichtet habe. Aber so lange wollte ich nun wirklich mit dem Neustart nicht mehr warten, also lernen wir jetzt alle mal, mit dem Unvollkommenen zu leben. Ich vor allem.

Über diesem ganzen Durcheinander ist auch die im letzten Beitrag angekündigte Lektüre von Camus muss sterben hintenübergefallen. Wieder einmal. Aber wie sagt Scarlett O’Hara in Vom Winde verweht am Ende unverdrossen?  „After all, tomorrow is another day.“ Tomorrow, in meinem Falle also irgendwann. Ob Camus Margaret Mitchells Roman gelesen hat, weiß ich nicht, aber die berühmte Verfilmung von 1939 mit Vivien Leigh und Clark Gable in den Hauptrollen hat er als passionierter Kinogänger bestimmt gesehen. Aber ich schweife ab…

Tatsächlich wollte ich mit diesem Beitrag nur mal kurz „Bonjour, Camus und ich sind wieder da“ sagen und allen Blog-Leserinnen und Camus-Freunden (und umgekehrt) einen schönen Sonntag wünschen.

Damit das Ganze doch noch etwas Nährwert erhält hier die Ankündigung der Camus-Freunde aus Aachen zur Neuausrichtung ihres monatlichen „Jour fix“:

Anstelle der bisherigen Gesprächskreise startet die Albert-Camus-Gesellschaft in Aachen in diesem Jahr ein neues Format: Eine Vorlesebühne für eigene Texte, die im weitesten Sinne im Kontext zu Leben und Werk von Albert Camus stehen, den Werkabschnitten der Absurdität, der Revolte, dem Exil, der Liebe … oder seiner Haltung, der Solidarität, dem Widerstand gegen menschenfeindliche Ideologien, der Naturverbundenheit. Ob Literatur, Philosophie, Theaterszenen, Sachtexte – Genre und Stil können frei gewählt werden. Die Texte sollen beim Vorlesen nicht länger als zehn Minuten in Anspruch nehmen, damit mehrere Autorinnen und Autoren zum Zuge kommen. Skripte sollen im Vorfeld eingereicht werden, um sie thematisch passend zusammenstellen zu können. Es gibt keine Fristen, da die Reihe laufend fortgesetzt werden soll. Wer also etwas in der Schublade hat – oder sich durch diese schöne Aktion zum Schreiben anregen lässt – der schicke sein Skript an den Vorsitzenden der AC-Gesellschaft Holger Vanicek: ho.vanicek@gmail.com

Premiere der „Lesebühne“ ist am kommenden Dienstag, 8. April, um 19.30 Uhr im LOGOI, Jakobstraße 25 a in Aachen. Unter dem Thema Natur-Perspektiven werden vier Autoren der Region ihre Texte vorstellen. Anschließend gibt es natürlich die Gelegenheit zum Austausch untereinander und mit den Autoren.

So, und jetzt noch einmal: Allen einen schönen Sonntag und jetzt auch wieder
„à bientôt“!

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„Camus muss sterben“ – die passende Lektüre zum Todestag (oder doch nicht?)

Dass das erste Camus-Ereignis des Jahres, mit dem dann auch ein neues Blog-Jahr startet, ausgerechnet sein Tod ist, ist ja immer irgendwie doof. Ich hab’s schon früher bemängelt und den Tag hier auch nicht jedesmal begangen. Man kann die Geschichte schließlich auch nicht immer wieder neu erzählen.

Cover von „Camus muss sterben“, ©emons Verlag

Oder kann man doch? Schon eine ganze Weile hält sich die Erzählung, der Unfall am 4. Januar 1960 gemeinsam mit seinem Freund Michel Gallimard sowie dessen Frau und Tochter auf der Route National 6 bei Villeblevin sei in Wirklichkeit gar kein Unfall gewesen, sondern ein Anschlag des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Aufgebracht hat die Geschichte der italienische Journalist und Osteuropa-Experte Giovanni Catelli bereits 2013. Schon damals wurde die Theorie auch in deutschen Blättern diskutiert. Zehn Jahre später erschien Camus muss sterben im Dezember 2023 beim emons Verlag in deutscher Übersetzung und machte erneut in den Feuilletons erstaunlich Furore.

Schon 2024 wollte ich Ihnen und Euch zum Todestag hier eine fundierte Rezension bieten. Ihr seht ja, was daraus geworden ist. Nun gut, dann eben 2025… *ähm, hüstel* – leider nein. Vor ein paar Wochen bin ich zum wiederholten Male stecken geblieben. Sagen wir es mal so: Das spricht jetzt nicht unbedingt für eine begeisternde Lektüre.

Aber ich will es jetzt doch nochmal wissen, und damit ich dieses Mal dranbleibe, habe ich mir überlegt: Ich lege mal nicht die hohe Latte einer auf knappen Zeilen-Raum verdichteten journalistischen-literarischen Rezension an, sondern lasse Euch in den nächsten Wochen kapitelweise teilhaben an meiner Lektüre.

Vielleicht hat ja sogar der ein oder die andere Lust, sich das Buch auch vorzunehmen (oder hat es schon getan)? Dann könnten wir uns gern hier darüber austauschen.

Zum Start hier erstmal der PR-Text des Verlags:

Albert Camus‘ mysteriöser Todesfall neu aufgerollt: eine perfide Verschwörung des KGB? Eine Mischung aus Investigativ-Roman und Spionage-Thriller – glänzend recherchiert und hochspannend.

Frankreich, Januar 1960: Albert Camus und sein Verleger Michel Gallimard sind auf dem Weg nach Paris, als ihr Auto ins Schleudern gerät und gegen einen Baum prallt – Camus ist sofort tot. Die Kollision wird als tragischer Unfall zu den Akten gelegt. Doch mehr als vierzig Jahre später tauchen Informationen auf, die ein neues Licht auf das angebliche Unglück werfen: Sind dem Autor seine sowjetkritischen Reden letztlich zum Verhängnis geworden? Wurde Camus‘ Tod vom KGB geplant?

„Glänzend recherchiert“ also. Nun denn. Vielleicht habe ich mich bislang zu Unrecht gegen die Lektüre gesträubt, weil das einfach so sehr nach Verschwörungserzählung klingt, und ich gegen solche grundsätzlich hochallergisch bin.

Schließlich gibt es internationale Pressestimmen, die der Verlag anführt:

„Ein Text von bestechendem literarischen, biografischen, kritischen und historischen Wert.“ (Avvenire)

„Catellis Argumentation ist überzeugend… sein Buch bietet einen klaren und nützlichen Einblick in die Strömungen, durch die politische Schriftsteller während des kalten Krieges navigieren mussten.“ (Wall Street Journal)

… und ich erinnere mich an durchaus positive Kritiken in großen deutschen Feuilletons, die ich jetzt aber nicht wiederfinde. Dafür aber diese hier:

Im Gegensatz zu seinem Titel sei das Buch nicht reißerisch, sondern nachfragend, urteilte Marko Martin in der Lesart auf Deutschlandfunk Kultur am 20. Dezember 2023. Der Autor ginge vielen Spuren nach, führt er an und findet die Spuren durchaus nachvollziehbar. Zwar bemängelt er, dass Catelli nicht auch Indizien berücksichtigt, die gegen seine These sprechen, sieht aber dennoch keinen Anlass für den Vorwurf einer Verschwörungstheorie in „diesem klugen Buch.“ Nachzuhören ist die Rezension in Gänze online im Archiv des DLF.

Hier ist kein Skandaljäger unterwegs, sondern ein Experte für die literarischen, historischen und politischen Ereignisse in Osteuropa, der als Korrespondent die Länder des ehemaligen Sowjetblocks bereist. Seine Nachforschungen fördern glaubwürdig Spuren zutage, die lange als verschollen galten bzw. nie an die Öffentlichkeit gelangen sollten“, schreibt Sylvia Treudl am 20.November 2023 auf buchkultur.net und betont: „Spuren, die auch Paul Auster überzeugen“.

Das allerdings wiegt für Fans des 2024 verstorbenen US-amerikanischen Autors, zu denen ich mich durchaus zähle, schwer. Auster hat ein kurzes Geleitwort zum Buch verfasst und schreibt darin: „Basierend auf jahrelanger sorgsamer Recherche konstruiert der Autor zwingende Argumente, um seine Behauptung zu stützen, sie seien die Opfer eines geplanten Mordes gewesen. Eine schreckliche Schlussfolgerung, aber schaut man sich die Belege an, die Catelli uns gibt, wird es schwierig, ihm nicht zuzustimmen. Dieser »Autounfall« sollte jetzt in eine andere Schublade eingeordnet werden, die der politischen Meuchelmorde.

Ok, dies soll mal reichen, um neugierig auf dieses Buch zu machen – und vielleicht ja auch auf meine Lektüre. Seid gespannt, ich bin es auch! In diesem Sinne: à bientôt!

Info: Giovanni Catelli: Camus muss sterben. Aus dem Italienischen von Carsten Drecoll, Emons-Verlag, Köln 2023 (TB, 159 Seiten).

Verwandte Beiträge:
Vom Wunsch nach einem leisen Tod – Zum Todestag von Albert Camus (2021)
Von einem Denken, das in ständigem Werden ist – Zum Todestag von Albert Camus (2016)
4. Januar 1960: Jeder stirbt für sich allein (2014)
Fünf vor zwei – eine Uhr bleibt stehen (2013)

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Ein paar Worte der Dankbarkeit am letzten Tag des Jahres

31. Dezember 2024. „Was ist dein vorherrschendes, dein bestimmendes Lebensgefühl, wenn du auf dein Leben blickst?“, fragte mich mein alter Freund J. vor einigen Wochen bei einem unserer kostbaren seltenen Abendessen. Puh, eine große Frage zwischen türkischem Lammeintopf und Digestif. Ich dachte nach. Spürte in mich hinein. „Dankbarkeit“, sagte ich dann. J. nickte. „Bei mir auch.“ Und wir waren uns auch ohne weitere Ausführungen sicher, damit das Gleiche zu meinen: Nämlich, dass es für uns, ganz gleich wie es in der Welt aussieht, ganz gleich, was es an unüberschaubaren Schwierigkeiten und Problemen aller Art im ganz privaten, im heimischen politisch-gesellschaftlichen Bereich und in globaler Dimension zu bewältigen oder auszuhalten gilt, es dennoch genug Gründe für uns gibt, um dankbar zu sein. Und dass dieses Lebensgefühl tragen kann, auch durch stürmische Zeiten. Braucht Dankbarkeit einen Adressaten? Mein Freund J. ist überzeugter Katholik. Er wird wissen, wem er seinen Dank abstattet. Aber spielt das eine Rolle? Mein Dank geht hinaus ins Unbekannte. Man kann auch wie Camus einen Sinn für das Heilige haben, ohne an Gott zu glauben (1).  

Am Ende eines Jahres gilt der Dank, den ich ausspreche, immer eben diesem: dem sich verabschiedenden Jahr. Eine Unzahl Bilder des Jahres läuft dann im Schnelldurchgang vor meinem inneren Auge ab. Schreckliches, schwer Auszuhaltendes aus der Welt da draußen, Schwieriges, Anstrengendes und Trauriges aus dem inneren Lebenskreis genauso wie schöne und beglückende Erlebnisse allein oder in Gemeinschaft. Am Ende eines Jahres: Danke für ein weiteres Jahr Leben. Danke an alle Menschen, die mir lieb sind, dass Ihr noch da seid. Danke, dass es Euch gab, an die, die sich verabschieden mussten.

Dankbarkeit, obwohl so vieles im Argen liegt, egal wohin man schaut? Und obwohl wir wissen, wie brüchig und bedroht all das ist, dessen wir uns gerade noch glücklich schätzen? Ja – trotz dessen und eben deshalb. Dankbarkeit setzt das Bewusstsein von Kostbarkeit voraus. Und etwas, das im Kern immer schon bedroht ist, ist kostbar.

„Ich habe immer den Eindruck gehabt, mich auf hoher See zu befinden: mitten in einem königlichen Glück bedroht“, notierte Camus in sein Tagebuch (2). Auch das hätte ich auf die Frage meines Freundes J. nach meinem Lebensgefühl antworten können, es ist genauso wahr. Die Bedrohung des eigenen Glücks ist allgegenwärtig. Umso mehr Grund zur Dankbarkeit, wenn es wieder einmal gelungen ist, das eigene Lebensschiff unversehrt durch ein weiteres Jahr navigiert zu haben.

Danken möchte ich am Ende des Jahres auch allen Camus-Freundinnen und Blog-Lesern (und umgekehrt), die dem Blog trotz der wieder einmal sehr großen Lücken die Treue gehalten haben und deren oft unverhoffte Resonanz per Mail oder Kommentar mich immer wieder darin bestärken, den Camus-Faden hier im Blog nicht aus der Hand zu geben. Wie es mir gelingen wird, ihn 2025 im dann zwölften Jahr weiterzuspinnen … wir werden sehen. Lassen wir uns gemeinsam überraschen.

Ich wünsche Ihnen und Euch ein neues Lebensjahr 2025 mit 365 dankbaren Tagen. In diesem Sinne: Bonne année et à bientôt!

P.S. Ich widme diesen Beitrag insbesondere meinem Freund J. mit Dankbarkeit für fast 45 Jahre Freundschaft.

(1) Ich bin mir einigermaßen sicher, dass die Aussage „Ich glaube nicht an Gott, aber ich habe einen Sinn für das Heilige“, von Camus irgendwo dokumentiert ist, kann die Quelle aber gerade nicht verifizieren. In die gleiche Richtung geht aber das Zitat „Ich habe einen Sinn für das Heilige, und ich glaube nicht an ein zukünftiges Leben; das ist alles“ – Camus im Interview mit Jean-Claude Brisville (1959), deutsch in >Du<. Die Zeitschrift der Kultur. Heft Nr. 6/1992: Wiederbegegnung mit Albert Camus. Zürich, S. 19-20. (2) Albert Camus, Tagebücher 1951-1959. Deutsche Übersetzung von Guido G. Meister. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1991, S. 12. Eintrag 2. Hälfte 1951.

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