Als Adaption fürs Theater hat Albert Camus‘ Roman Der Fremde schon häufig den Weg auf die Bühne gefunden – aber als Oper? Das ist außergewöhnlich. 2019 hatte das Nationaltheater Mannheim einen internationalen Kompositionswettbewerb ausgerufen. „Gesucht werden Konzeptionen, die sich Camus’ Roman auf narrative, philosophische, phantastische oder genreübergreifende Art nähern“, hieß es damals in der Ausschreibung. Alle zeitgenössischen Musikstile von Avantgarde bis Pop waren möglich und erwünscht. Einzige Vorgabe: Das Stück sollte mit den Mitteln der Studiobühne eines Stadttheaters aufführbar sein und als Sängerbesetzung höchstens vier Personen aufweisen, eventuell plus Sprecher, aber keinen Chor.
Bekanntlich legte alsbald ein lästiges Virus das Kulturleben auf längere Zeit lahm, sodass es mit der Umsetzung ein wenig länger gedauert hat als vorgesehen, aber jetzt ist es so weit: Am 30. Juni 2024 feiert Der Fremde erstmals in Form einer Kammeroper Uraufführung auf der Studiobühne des Nationaltheaters Mannheim.
Geschaffen hat sie die 1966 in Buenos Aires geborene Komponistin Cecilia Arditto Delsoglio im Team mit Annette Müller (Libretto) und Bart Brouns (Beratung). Das Team war als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgegangen, zu dem knapp 100 Bewerbungen aus aller Welt eingegangen waren. Sechs Finalteams wurden von der Operndramaturgie ausgewählt, welche die Aufgabe gemeistert hatten, eine Szene aus Der Fremde für Piano, Violine und drei Gesangsstimmen zu vertonen.
Eine erste Ahnung dessen, worauf man gespannt sein darf, vermitteln Statements aus der Begründung der Jury: „Ich habe mich für das Team um Cecilia Arditto entschieden, weil mir die Kombination einer klaren Erzählweise dicht am Autor mit einer phantastischen Welt aus Geräuschen, Klängen, Lichtern und Bewegungen spannend und innovativ erschien. Anstelle einer Oper erwarte ich mir ein fremde, poetische Klang-Welt„, erklärte Jurymitglied Jan Dvořák seine Entscheidung (Dramaturg, Komponist und Leiter des Festivals »Mannheimer Sommer«). Und auch dem Komponisten Sidney Corbett gefiel vor allem die „Linearität der Erzählweise“ und die „Sinnlichkeit der musikalischen Sprache“, besonders im Zusammenhang mit vom Text inspirierten Klangobjekten.
In diese Richtung hat sich offenbar die gesamte Oper weiterentwickelt – soviel verrät die Ankündigung des Nationaltheaters Mannheim:
„Eine poetische Welt aus Stimmen, Geräuschen, Instrumentalklängen, Ventilatoren und Wasserschüsseln? Die Komponistin Cecilia Arditto (…) liest Camus’ Schlüsselroman über das Leben im Zeitalter des Absurden als eine Art Partitur, bei der das Eigentliche immer zwischen den Zeilen steht: Die Sonne, die Hitze, die Gerüche, das Meer. „Der, der auf Raymond eingestochen hatte, sah ihn an, ohne etwas zu sagen. Der andere blies auf einer kleinen Flöte und wiederholte, während er uns ansah, unentwegt die drei Töne, die er aus seinem Instrument herausholen konnte. Während dieser ganzen Zeit war da nichts als die Sonne und diese Stille mit dem leisen Murmeln der Quelle und den drei Tönen.“ Cecilia Arditto Delsoglio wird gemeinsam mit Co-Regisseurin Annette Müller die Geschichte des vollkommen gleichgültigen Algerienfranzosen Meursault, seiner Freundin Marie, dem Kleinkriminellen Raymond und einem ganz unbegreiflichen Mord an einem Algerier zu einem intimen Drama der Klänge machen.
Ich hoffe doch sehr, dass ich es zu einer der Vorstellungen schaffen werde… Ich bin schon sehr gespannt darauf und freue mich auf das Erlebnis!
Der Fremde
Kammeroper von Cecilia Arditto Delsoglio und Annette Müller nach Originaltexten aus L’Étranger von Albert Camus. Dauer voraussichtlich ca. 1 Std 30 Min, keine Pause. In deutscher und französischer Sprache mit deutschen Übertiteln.
Termine:
Uraufführung am 30. Juni im Rahmen des Mannheimer Sommer 2024 (ausverkauft).
Weitere Vorstellungen am 3., 6. und 13. Juli, 20 Uhr. Kurzeinführung jeweils um 19.40 Uhr.
Rahmenprogramm:
Einführungsmatinée: Am 23. Juni, 2024, 11 Uhr. Die Podiumsdiskussion (Opernintendant Albrecht Puhlmann und das Produktionsteam) mit Live-Musik bietet einen exklusiven Einblick in das Opernkonzept von Der Fremde und geht die großen Fragen rund um die Uraufführung an. Tickets
Film & Oper: Am 26. Juni 2024, 17.30 Uhr, gibt es eine der seltenen Gelegenheiten, die Visconti-Verfilmung von Der Fremde mit Marcello Mastroianni in deutscher Fassung zu sehen (über die hier im Blog schon das ein oder andere Mal zu lesen war, einfach mal Visconti in die Suchmaske eingeben).
Am 2. Juli 2024, 19.30 Uhr: „Journey to Algeria“ – Der Sound Nordafrikas mit der Band Haz’art, Info hier
Und am 4. Juli 2024, 19.30 Uhr: Musiksalon extra / Im Salon mit Cecilia Arditto
Tickets zu allen Veranstaltungen über die Webseite des Nationaltheater Mannheim
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