Große Themen im kleinen Format: Albert Camus‘ „Der Belagerungszustand“ als Figurentheater

Szenen aus „Der Belagerungszustand“ beim Figurentheater Blauer Mond. ©Fotos: David Thürey

„(…) ein einziges Haar dieses Kindes ist mir lieber als der Himmel selbst. Ich mache den Mund auf. Und sei es nur, um dem da zu sagen, dass er nie das Recht auf seiner Seite hatte, denn das Recht, hörst du, Casado, das Recht ist aufseiten derer, die leiden, stöhnen und hoffen. Und es ist nicht, es kann nicht aufseiten derer sein, die rechnen und raffen.“ (1)

Zu meiner schon sehr lange bestehenden Liebe zum Figurentheater habe ich mich hier ja schon des öfteren bekannt. Bei mir hat sich das vom geliebten Kasperletheater als Kind eher in eine kunstvolle Richtung entwickelt, Camus dagegen liebte auch das derbe Puppentheater des Grand-Guignol sehr. „Das ist wahres Theater“, soll er dazu bemerkt haben (2). Was hätte er wohl dazu gesagt, dass ein Figurentheater sein Stück Der Belagerungszustand inszeniert? Ich vermute, er wäre zumindest neugierig gewesen. Genau wie ich, nur findet das Ganze leider mal wieder nicht bei mir um die Ecke statt, sondern im Wendland.

Claudia de Boer vom Figurentheater Blauer Mond hat sich das Stück vorgenommen, bei dem es sich trotz des gemeinsamen Themas der Pest keineswegs bloß um eine Theaterfassung von Camus‘ Roman Die Pest handelt, wie er selbst betont hat. Ein Blick hinein genügt, um festzustellen, dass Camus so ziemlich alle großen Themen hineingepackt hat, die ihm wichtig waren. Darauf nimmt auch die Ankündigung auf der Theaterwebseite Bezug:

„Ich habe nie aufgehört, den ‚Belagerungszustand‘ trotz all seiner Unzulänglichkeiten als das Werk zu betrachten, das mir am meisten entspricht“, so Albert Camus, Antifaschist und radikaler Humanist, über sein metaphorisches Theaterstück. Camus schildert darin, wie ein plötzlich errichtetes tyrannisches System die Menschen und ihre Werte verändert. Der zeitlose Text, der eine zutiefst verunsicherte Gesellschaft in der Krise zeigt, hat nichts an Brisanz und Aktualität verloren. Er trifft mit einer großen Wucht. In unserer Umsetzung orientieren wir uns an Camus‘ Vorgabe, alle denkbaren Formen des Ausdrucks zu verwenden: Figurenspiel, Schattenspiel, Schauspiel, Hörspielelemente und eine eigens entwickelte Bühnenmusik werden verwoben, um dem vielschichtigen Theaterstück gerecht zu werden.“

Zur Premiere im November 2023 gab es viel Lob. Jetzt stehen weitere Aufführungen an:

TERMINE:
Samstag, 20. April 2024, 20.15 und Sonntag, 21. April, 18 Uhr, beim Kulturverein Platenlaase, Jameln, sowie am 9. und 10. Mai, 20 Uhr, in der Zeetzer Mühle in Zeetz im Rahmen der Kulturellen Landpartie Niedersachsen. Mehr Infos hier; Karten unter Telefon 05865/ 9883373.

Der Belagerungszustand (L’État de Siège) wurde 1948 am Théâtre Marigny in Paris uraufgeführt. Regie führte Jean-Louis Barrault, das Bühnenbild stammte von Balthus und die Bühnenmusik von Arthur Honegger. In der Inszenierung von Claudia de Boer, die auch die Figuren gebaut hat, sorgt Johannes Gahl für Live-Musik am Klavier.

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(1) in: Sämtliche Dramen. Erweiterte Neuausgabe. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel und Uli Aumüller. Rowohlt-Verlag, Reinbek b. Hamburg 2013, S. 214. (2) vergl. Olivier Todd, Albert Camus. Ein Leben, Rowohlt-Verlag, Reinbek b. Hamburg 1999, S. 783.

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