Morgenlektüre: Wenn Möglichkeit auf Wirklichkeit trifft

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Eigentlich hatte ich für heute ja gar keinen Beitrag vorgesehen – aber da begegnet mir Camus bei der Lektüre der örtlichen Tageszeitung (übrigens schon zum zweiten Mal in diesem Jahr), was ich natürlich nicht übergehen kann. Wer den Blog aufmerksam mitgelesen hat weiß natürlich, dass wir auch das Zitat schon hatten: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) brachte es in seiner Rede zur Eröffnung der Feierstunde zum 50. Jubiläum des Élysée-Vertrags am 22. Januar im Deutschen Bundestag, weshalb ich mich schon seinerzeit hier über den größeren Zusammenhang des Zitats (ein Eintrag aus dem Tagebuch vom November 1945) ausgelassen hatte. Aber gute Sätze kann man ja nicht oft genug wiederholen.

Schön an dem heutigen Fundstück ist vor allem die Kombination mit dem direkten Umfeld: Gleich darunter findet sich ein Interview mit dem Regisseur Joseph Vilsmaier unter dem Titel „Die Gehässigkeit stirbt nie aus“. Anlass ist die heutige Ausstrahlung seines Films „Der Meineidbauer“ nach dem Volksstück von Ludwig Anzengruber (ARD 20.15 Uhr). Der Stoff, den Anzengruber um 1870 schrieb, behandele all die ewigen Themen, die den Menschen seit eh und je auf der Seele brennen: „Liebe, Tod, Gier, Hass und Glück: Da ist alles drin, was die Menschen bewegt“, sagt Vilsmaier, und dass sich daran seither nichts geändert habe. Ein Richter habe ihm vor kurzem erzählt, dass es noch nie so viele Nachbarschaftsklagen gegeben habe wie zurzeit. „Die Leute tun freundlich miteinander und verklagen sich hinterum, das ist doch der Wahnsinn. Diese Gehässigkeiten müssen Sie als Regisseur zeigen“, sagt er und schließt mit der vermutlich realistischen Feststellung „Die Gehässigkeit der Menschen stirbt nie aus“ (1).

Die Kombination von Camus und Vilsmaier gefällt mir. Möglichkeit trifft auf Wirklichkeit und erinnert uns daran, dass wir selbst es sind, die zum oft so hässlichen Gesicht der Wirklichkeit beitragen und die Möglichkeiten zum Guten allzu oft ungenutzt lassen. Weniges ist dabei so hässlich wie die Gehässigkeit, die aus Neid, Gier, Missgunst, Kleingeistigkeit und einem kalten Herzen entspringt – mithin ganz und gar überflüssiger Weise das Unglück in der Welt vermehrt. Wir haben die Chance, es anders zu machen – und wir sind dafür grenzenlos verantwortlich. Ich danke Camus und meiner Tageszeitung, dass sie mich heute mal wieder daran erinnert haben.

(1) Westdeutsche Zeitung vom 27. September 2013
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