Dass Albert Camus ein guter und begeisterter Tänzer war, ist bekannt. Ob er etwas mit dem modernen Ballett und Tanztheater unserer Tage anfangen könnte, wissen wir allerdings nicht. Ich persönlich freue mich freilich immer, wenn Camus und moderner Tanz (und damit zwei meiner bevorzugten Interessen) einmal unversehens eine Schnittmenge bilden – was nicht allzu oft vorkommt. In Grenoble ist dies gerade der Fall: Der Choreograf Jean Claude Gallotta bringt im dortigen Petit Théâtre de la MC2 ein von Camus‘ Der Fremde inspiriertes Tanzstück auf die Bühne. Wie eng diese Verknüpfung tatsächlich ist, und ob sie überhaupt für die Zuschauer nachvollziehbar wird, lässt sich aus dem kleinen Zweieinhalbminutenvideoausschnitt zwar nicht ermessen, aber vielleicht kommt es darauf auch gar nicht so sehr an. Dem Choreografen, der selbst familiäre algerische Wurzeln hat, scheint es weniger um das erzählerische Element zu gehen als um eine „körperliche Übersetzung der Worte von Camus“, wie er in einem auf seiner Webseite nachzulesenden Interview erläutert. Deshalb verkörpern die Tänzer auch keine Figuren aus dem Roman, sondern nähern sich ihnen allenfalls momentweise an. Es scheint mehr um eine aus Bewegung, Projektionen, Musik und Text zusammenwirkende Atmosphäre zu gehen – keine Nacherzählung sondern eine Entsprechung in einem anderen Medium. Beeindruckend, einmal mehr, wie weit die von Camus ausgehende Inspiration immer noch und immer wieder neu trägt, und wo und in welchen Zusammenhängen einem diese geistigen Freunde von Camus überall begegnen. Es gebe nur wenige Werke, die uns ein ganzes Leben lang begleiten, meint Jean-Claude Galotta, und das von Camus gehört für ihn zweifellos dazu. Für ihn sei das Werk von Camus das, was Valéry eine „philosophie portative“ nenne, eine „tragbare Philosophie“. Was für eine schöne Beschreibung! Dieses Wortfundstück werde ich sogleich in meine Sammlung aufnehmen.
Termine: Vom 9. bis 20. Juni im Petit Théâtre de la MC2, Grenoble. Infos hier
Bleiben wir gleich mal bei Der Fremde, diesmal aber in der literarischen Form: Bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen, die in diesem Jahr unter dem Motto TÊTE-À-TÊTE Ein dramatisches Rendezvous mit Frankreich stehen, liest der großartige Schauspieler Ulrich Matthes am 7. Juni Camus‘ Roman. Ob Camus auch für Ulrich Matthes so ein „Lebensbegleiter“ ist, dessen Philosophie man gut mit sich herumtragen kann, weiß ich nicht (und würde ihn das gern fragen), ganz gewiss aber hat er sich sehr mit ihm auseinandergesetzt, denn Ulrich Matthes hat bereits nicht nur Der Fremde sondern auch Die Pest und Der Fall als Hörbuch eingelesen.
Termin: Sontag, 7. Juni, 11 Uhr, im Festspielhaus Recklinghausen. Infos hier
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