Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie häufig sich Theaterschaffende heute noch (oder wieder neu) von Camus inspirieren lassen – und in welchen verschiedenen Zusammenhängen dies geschieht. Ein Stück, das in einem fiktiven Burnout-Rehazentrum mit dem schönen Namen „Heiteres Sonnengeflecht“ spielt, hätte ich jedenfalls bislang nicht so ohne weiteres mit Camus in Verbindung gebracht. Obwohl… vielleicht würde man Camus heute angesichts der ihn zeitweilig plagenden Depression und Schreibblockade ja ein Burnout diagnostizieren… Aber darum geht es natürlich nicht in dem Stück „Entweder es brennt oder es dauert“ von Christine Frei, das kürzlich am Westbahntheater in Innsbruck Premiere hatte.
Worum es geht, fasst der Text auf der Theaterwebseite wie folgt zusammen: Das Burnout-Reha-Zentrum „Heiteres Sonnengeflecht“ wurde über Nacht mit einem Obdachlosenheim fusioniert, mit dem Ziel neue „sinnstiftende“ Synergien zu bilden. Die Begeisterung der Reha-PatientInnen hält sich freilich in Grenzen. Durch die Fusionierung geraten Perspektiven und Optionen der PatientInnen aus ihrem täglich so mühevoll herbeivisualisierten Gefüge. Ausgerechnet am Tag der Fusionierung werden Hanna, eine ehemals gefragte wie gefürchtete Rationalisierungsmanagerin und der Rund-um-die-Uhr-Systemadministrator Kurt, in die Klinik aufgenommen und prompt für Obdachlose gehalten. Doch plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Der abgetakelte Ex-Politiker Fritz übernimmt die „Leitung“‘ des „Heiteren Sonnengeflechtes“‘, indem er die übereifrige Synergiemanagerin Franziska Flott aus dem Sattel hievt.
Und was hat das jetzt alles mit Camus zu tun? Nun, immerhin lässt die Autorin in ihrem Stück „Entweder es brennt oder es dauert“ Camus selbst auftreten und verwickelt ihn in eine weltanschauliche Diskussion mit dem katholischen Kardinal Franz König (ebenfalls eine historische Figur und seines Zeichens einst u.a. Vorsitzender des päpstlichen Sekretariats für die Nichtglaubenden), was der eigentlichen Handlung einen Rahmen und philosophischen Überbau verleiht. Auf der Theaterseite heißt es dazu: Das Auftragswerk des Westbahntheaters zeigt die philosophische Diskussion zwischen dem katholischen Kardinal Franz König und dem existentialistischen Philosophen Albert Camus an Hand der Darstellung des hochaktuellem Themas des „Burn Out“. … Die Autorin Christine Frei verleiht den Denkfiguren Albert Camus und Kardinal Franz König ein Gedankenspiel. Theater ist die Verkörperung dieses Gedankenspiels. Im Stück diskutieren die beiden über Sinnstiftung aus der Warte des Katholizismus (Gottes Vorsehung) und des Existenzialismus à la Camus (Sisyphos-Mythos). Für beide besteht „Die Liebe zur Aufgabe“ als sinnbildender Faktor. Die übertriebene Liebe zur Aufgabe fördert jedoch eine Disposition zum Burnout.
Regisseur Michael Worsch kennt sich mit diesem Thema bestens aus: Der Autor, Psychologe, Psychotherapeut und Regisseur (u.a. 1994-2004 Schauspielchef am Salzburger Landestheater) arbeitet aktuell als Leiter der Bildungswerkstatt für Lebenskunst am Gesundheitsgut Bad Gleichender, wo er täglich mit Burnout-Patienten zu tun hat.
„Das Absurde ist ein Zwiespalt, Welt und Weltbild passen nicht zusammen. Heißt dies, selbst in der tragischen Erschütterung noch lachen zu können? Wir überwinden das Absurde durch menschliche Wärme. Doch in einer kalten Gesellschaft brennen wir aus. Das Geschäft mit der Not ist ein makabres Spiel.“
Michael Worsch
Bleibt noch die Frage nach dem Titel des Stücks. Er greift ein Zitat auf, dessen genaue Quelle ich selbst seit ewigen Zeiten suche. Ich bin mir sogar einigermaßen sicher, dass Camus darin vom unauflösbaren Widerspruch der Liebe spricht und sagt „entweder sie dauert oder sie brennt“. Auch die Autorin Christine Frei suchte vergeblich danach und weiß nur, dass Camus den Satz in Bezug auf eine Liebe(sgeschichte) gesagt haben soll. Gibt es unter den Blog-Leserinnen und -lesern vielleicht jemanden, der mehr weiß? Das wäre großartig! Bitte schreiben Sie mir! Die Information gebe ich dann natürlich gerne an die Autorin und hier für alle weiter.
Info:
Die Uraufführung von „Es brennt oder es dauert“ fand am 27. September 2014 im Westbahntheater Innsbruck statt. Weitere Vorstellungen: 10., 11., 12., 17., 18. und 19. Oktober 2014, jeweils um 20 Uhr. Infos und Tickets: Westbahntheater Innsbruck.
In ihrer Premierenkritik schreibt die Tiroler Tagezeitung: „Michael Worsch, der auch das Bühnenbild entworfen hat, inszeniert den Mix aus philosophisch unterfütterter Gesellschaftskritik und Kolportage im Westbahntheater als eine Revue anschaulicher, an der bildenden Kunst geschulter Tableaus. Die Seitenhiebe auf medial gefütterte Sinnsuche sind zwar nicht neu, aber durchaus kurzweilig, die emotionale, ja existenzielle Dimension des wortreich Geschilderten beschränkt sich aber letztlich auf einigermaßen verstörte Blicke und viel Gezappel. Mit anderen Worten: reichlich brav.“
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