Venedig 2014 : „Der Gast“ nach Albert Camus als epischer Western in David Oelhoffens „Loin des Hommes“

Viggo Mortensen (rechts) als Daru und Reda Kateb (links) als Mohammed in David Oelhoffens Camus-Adaption "Loin des Hommes". ©Foto: allocine.fr

Viggo Mortensen (rechts) als Daru und Reda Kateb (links) als Mohamed in David Oelhoffens Camus-Adaption „Loin des Hommes“. ©Foto: allocine.fr/pathé!

Überall lobende Erwähnung, aber kein großes Aufsehen – das ist der Eindruck, den ich von der Aufnahme des Film Loin des Hommes (Far from Men) habe, nachdem nun die 71. Internationalen Filmfestspiele von Venedig zu Ende gegangen sind. Zu gern hätte ich die lange angekündigte Verfilmung von Albert Camus‘ Erzählung Der Gast (L’Hôte) dort gesehen, denn ob und wann der Film den Weg in die deutschen Kinos findet, scheint mir angesichts dieser eher schwachen Resonanz noch nicht abzusehen. Trailer und Beschreibungen machen allerdings schon deutlich, dass sich der französische Regisseur David Oelhoffen in seiner Adaption zum Teil recht weit von der Vorlage entfernt oder sie zumindest erheblich ausschmückt. Der Kern jedoch scheint erhalten geblieben zu sein: Der Lehrer Daru (gespielt von Hollywoodstar Viggo Mortensen), der als einziger Lehrer an einer abgelegenen Kleinschule im algerischen Atlas-Gebirge den Kindern der umliegenden Dörfer Lesen, Schreiben und die koloniale französische Geschichte beibringt, soll auf einem langen Marsch den mutmaßlichen Mörder Mohamed an die Behörden in der Stadt überstellen. Oelhoffen hat seinem Protagonisten eine Biografie auf den Leib geschrieben, die ihn zwischen alle Fronten stellt: Als Sohn andalusischer Einwanderer wuchs Daru in Algier auf. Die Franzosen betrachten ihn als Araber, aber da er im  Zweiten Weltkrieg für Frankreich gekämpft hat, sehen die Araber in ihm nun den Franzosen. Während sich die Wege der beiden in Camus‘ Erzählung nach einem einsamen Marsch, an dessen Ende Daru dem Araber die Entscheidung über die Fortsetzung des Weges selbst überlässt, recht schnell wieder trennen, schickt Oelhoffen sie aber offenbar auf einen langen, abenteuerlichen, mit Rebellen, Wegelagerern und Söldnern gespickten Trip, der Zeit für das Entstehen einer ungewöhnlichen Freundschaft lässt.

In den Kritiken, so sich welche finden lassen, wird durchweg die filmische Machart im Western-Stil hervorgehoben. „Oelhoffen hat einen kraftvollen Western in Nordafrika gedreht, die koloniale Kulisse ist dabei allgegenwärtig. Vor ihr heben sich Mortensen und Reda Kateb als Mohamed ab, indem sich beide mit großer List dem mörderischen Irrsinn widersetzen. Eine Männerfreundschaft, die Systeme sprengt“, schreibt etwa der Kölner Stadtanzeiger. „Eine existenzialistische Western-Variante zu Beginn des Algerienkrieges 1954 voller Humanität vor grandioser Naturkulisse“, nennt Margret Köhler den Film in ihrem Abschlussbericht der Filmfestspiele in „Kino Kino“, dem Magazin des Bayrischen Fernsehens. „David Oelhoffens Albert-Camus-Adaption ergibt einen guten, keinen herausragenden Film“, urteilt Jens Hinrichsen in der Neuen Osnabrücker Zeitung, während Alexandra Seidel  vom österreichischen Kurier in dem Film eine Höhepunkt des Wettbewerbs sieht und findet „Der Existenzialismus-Western Far From Men mit Viggo Mortensen überzeugt“.

Die Löwen haben am Ende andere abgeräumt (Goldener Löwe: Roy Andersson für A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence, Silberner Löwe: Andrej Koncalovskij für The Postman’s White Nights, Großer Preis der Jury: Joshua Oppenheimer für Look of Science) – aber immerhin hat die international besetzte Katholische Jury, die für ihren eigenen Preis das Wettbewerbsprogramm nicht nur nach filmkünstlerischen Qualitäten sondern auch unter ethischen und spirituellen Aspekten beurteilt, Loin des Hommes ausgezeichnet. In dem Film gehe es nicht nur um reines Spannungskino, legt Felicias Kleiner im Domradio als Begründung dar, „sondern um ein Bekenntnis zu einem bedingungslosen Humanismus. Anhand der beiden unterschiedlichen Hauptfiguren erzählt der Film von den Möglichkeiten eines interkulturellen und interreligiösen Dialogs. Er fordert die Unverletzbarkeit von Menschenrechten auch in Kriegszeiten ein und stellt der um sich greifenden Gewalt Tugenden wie Respekt und Opferbereitschaft entgegen. Eine mehr als aktuelle Botschaft, wie der Blick auf die vielen Krisenherde der Welt beweist.“

Bleibt zu hoffen, dass wir uns hierzulande bald selbst ein Bild davon machen können.

P.S. Ein Interview mit David Oelhoffen und Viggo Mortensen, in dem man erfährt, dass er „schon immer Camus verehrt habe“, findet sich in der New York Times. Einen Trailer anschauen kann man (nach der Werbung) hier; und ein Video von der Pressekonferenz in Venedig mit Viggo Mortensen und einem weiteren kleinen Ausschnitt hier.

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