„Solidarität neu befragen“ – eine ganze Uni liest „Die Pest“. Online-Symposion am 16. April 2021

Drei von vielen Plakaten, denen man seit Anfang März in Bremen begegnen konnte. Sie sind Teil des Camus-Projekts „zusammen.denken“ an der Uni Bremen. ©zusammen.denken

Von einem spannenden Projekt ist zu berichten, das derzeit unter der Leitung der Philosophin Dr. Svantje Guinebert an der Uni Bremen stattfindet: Mit ihrem Projekt zu Albert Camus‘ Roman Die Pest hat sich die Universität Bremen an der Ausschreibung „Eine Uni Ein Buch (1U1B)“ 2020 beteiligt. Unter dem Obertitel „Solidarität neu befragen“ fanden und finden zahlreiche unterschiedliche Veranstaltungen statt, die über die Universität hinaus zum Teil auch die Stadtgesellschaft mit einbeziehen. Kern des Ganzen sollen die „multiperspektivische“ Lektüre und Diskussion des Romans Die Pest sein. Ein regelmäßig tagender Lesekreis, Leseperformances, Schreibworkshops, Lehrveranstaltungen, eine Vortragsreihe, Podiumsdiskussionen, eine Filmvorführung, eine Diskussion in der Reihe „Kontrapunkte: Wissenschaft im Widerspruch“ sowie weitere Veranstaltungen an der Universität und in der Stadt gehören zum umfangreichen Programm. Quasi das Herzstück des Ganzen ist aber das Studierendenprojekt zusammen.denken#camus4solidarity. In diesem Rahmen findet am 16. April online ein Symposion statt, an dem alle Interessierten per Zoom teilnehmen können (mehr dazu weiter unten). Anna Maria Stock vom zusammen.denken-Team hat 365tage-camus freundlicher Weise einige Fragen dazu beantwortet:

Im Zuge der Corona-Pandemie hat Albert Camus‘ Roman Die Pest wieder große Aufmerksamkeit erfahren. Zeitweise war er in Frankreich sogar ausverkauft. War die Pandemie-Erfahrung auch für Sie der Anlass, den Roman für die Aktion „Eine Uni ein Buch“ auszuwählen?

Anna Maria Stock: Die Uni Bremen hatte sich noch vor Corona mit Die Pest auf 1U1B beworben. Dann brach die Pandemie aus, und wir dachten eigentlich, dass wir dann den Zuschlag nicht kriegen. Wer will schon ein Buch über die Pest lesen, wenn sich sowieso nur noch alles um die Pandemie dreht? Aber dann kam im März 2020 die Zusage. Das ist toll, denn Camus‘ Die Pest ist sehr tröstlich. Wir erkennen uns und die Welt, wie sie gerade ist, darin wieder. Und wir lernen viel darüber, wie wir gut mit all dem umgehen. 

Was genau umfasst diese Aktion und was ist ihr Hintergrund?

zusammen.denken ist ein Sudierenden-Projekt, das aus dem Uni-Seminar „Vorhang auf und Bühne frei: Eine Aufbereitung des Werks Albert Camus’ für die Öffentlichkeit“ unter Leitung von Dr. Svantje Guinebert entstanden ist. In diesem Seminar, das zum uniweiten Projekt „Eine Uni Ein Buch“ gehört, haben wir Studierenden Camus’ Die Pest gelesen und in der Auseinandersetzung mit dem Buch verschiedene öffentliche Aktionen entwickelt. So hängen seit Anfang März in ganz Bremen Plakate mit Fragen, die wir entworfen haben, und überall in der Stadt sind bunte Steine zu finden, von uns bemalt. Eine Auswahl der Plakate und Steine ist auch auf unserer Instagram-Seite zu finden, auf der wir zu Austausch und Diskussion einladen. Sobald es das Infektionsgeschehen zulässt, sind außerdem szenische Spaziergänge mit Charakteren aus dem Roman sowie eine Lockdown-Performance geplant.

Was ist für Sie der entscheidende Aspekt, das wichtigste Thema des Romans, das ihn für uns heute so bedeutsam erscheinen lässt?

Solidarität. Camus‘ beschreibt, wie das Übel die Menschen ereilt, wie sie dagegen kämpfen, auch wenn der Kampf aussichtslos ist, und dass es aber in all dem Grauen möglich ist, menschlich zu bleiben. Camus zeichnet mit liebevollem Blick die verschiedenen Charaktere und ihre verschiedenen Weisen, mit der Pest umzugehen. Nach der Lektüre bleibt das Gefühl: Im Grunde ist der Mensch gut. Trotzdem. Solidarität ist auch das Thema, um das unsere Aktionen kreisen. 

Haben Sie Resonanz von unbeteiligten Personen auf die in der Stadt verteilten Plakate erfahren? Welche Frage(n) sprachen die Menschen am meisten an?

Plakate der Aktion wurden überall in Bremen verteilt. ©zusammen.denken

Ein lustiges Beispiel: Das Plakat mit der Frage „Wie fühlst du Distanz?“ wurde analog beantwortet, direkt auf der Litfaßsäule. Mit dicker schwarzer Farbe hat jemand Frau Merkel dazu aufgerufen, die Kneipen bitte wieder zu öffnen. Die Distanz fühle man „mal so gar nicht“. Außerdem haben wir eine Anfrage aus einer anderen Stadt erhalten, ob die Plakate verfügbar wären, um sie auch dort auszuhängen. Das wäre toll, wenn die Plakate auch über Bremen hinaus zum Dialog einladen würden. 



War den Studierenden Albert Camus vor der Aktion eigentlich ein Begriff?

Manche der Teilnehmer:innen hatten Die Pest schonmal gelesen, manche andere Werke von Camus. Aber ich denke, dass wir alle irgendetwas Neues mitgenommen haben, über Camus und seine Philosophie. Mir selbst war damals in der Schule Der Fremde begegnet, und auch Die Gerechten, aber Die Pest habe ich dann für das Seminar zum ersten Mal gelesen. Und Camus‘ Philosophie des Absurden habe ich erst jetzt kennengelernt.

Wie schätzen Sie selbst die Wirkung der ganzen Aktion sowohl auf die direkt Beteiligten als auch die Stadtgesellschaft ein?

Für uns Teilnehmer:innen war und ist es eine tolle Aktion. Es ist schön zu sehen, dass es in diesen schwierigen Zeiten, in denen wir uns nicht persönlich treffen konnten (alles lief über Zoom), trotzdem möglich ist, gemeinsam solche Aktionen auf die Beine zu stellen. Wir kannten uns vorher nicht und haben uns bis jetzt noch nicht persönlich getroffen, und trotzdem haben wir was Gemeinsames geschaffen. Vielleicht ist auch das ein Akt der Solidarität, ganz im Sinne Camus‘. Wie sich die Aktion auf die Stadtgesellschaft auswirkt, ist schwer zu sagen. Ich hoffe, dass wir mit unseren Plakaten und Steinen den ein oder die andere erfreut haben. Und dass wir vielleicht, wenn das wieder möglich ist, noch den ein oder die andere mit einem szenischen Spaziergang und einer Lockdown-Performance erfreuen dürfen. Jetzt steht aber erstmal das Symposium an.

Können Sie dazu den Leserinnen und Lesern von 365tage-camus noch etwas mehr sagen?

In dem Online-Symposion am 16. April geht es um Solidarität, Die Pest und die Camus‘sche Philosophie dahinter. Wieso Camus lesen? Wieso Die Pest? Wieso gerade jetzt? Was lernen wir aus dem Roman für das Leben in der Pandemie? Was für das Leben als solches? Das sind zum Beispiel Fragen, um die sich das Symposium drehen wird. Geplant sind neben der Lektüre von Textstellen gemeinsame Diskussionsrunden, zu denen wir auch Vertreter:innen solidarisch handelnder Initiativen aus Bremen eingeladen haben. Alle Interessierten sind herzlich zur Teilnahme eingeladen.

Liebe Frau Stock, vielen Dank und viel Erfolg weiterhin für die geplanten Aktivitäten!

TERMIN: Online-Symposion am 16. April 2021, 17 bis 20 UhrAnmeldung bis einschließlich 12. April 2021 per Mail an eueb2021@uni-bremen.de oder über die Instagram-Seite zusammen.denken

MEHR INFOS:Der empfehlenswerte Blog zum Camus-Projekt „Solidarität neu befragen“ bietet ausführliche Hintergrundinformationen zum gesamten Projekt und zum Semesterschwerpunkt „Solidarität“ am Institut für Ethnologie / Kulturwissenschaft der Uni Bremen; dazu Gastbeiträge und Textbeiträge von Studierenden, eine Podcast-Reihe, eine Zitatauswahl aus Camus‘ Die Pest, einen Rück- und Vorblick auf Veranstaltungen und noch einiges mehr. 

EINE UNI EIN BUCH: Das Programm „Eine Uni Ein Buch“ wird vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. und der Klaus Tschira Stiftung in Kooperation mit dem ZEITverlag veranstaltet und findet 2021 zum fünften Mal statt. Sie zeichnen die zehn besten Ideen und Aktionen aus und fördern ihre Durchführung mit jeweils 10.000 Euro. Die Universität Bremen erhielt den Zuschlag für das Projekt „Solidarität neu befragen: Die Universität Bremen liest Albert Camus‘ Die Pest (1947) – Ein philosophischer Roman über Solidarität in schwierigen Zeiten.“ 

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1 Antwort zu „Solidarität neu befragen“ – eine ganze Uni liest „Die Pest“. Online-Symposion am 16. April 2021

  1. PIERRE SCHOTT sagt:

    TRÈS BELLE INITIATIVE !
    PÉTRUS

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