Martin Bretschneiders Abschied von Werther – dringende Empfehlung: nicht verpassen!

Eine Tour de Force der Gefühle: Martin Bretschneiders „Werther“ geht unter die Haut. Am 25. November zum letzten Mal. ©Fotos: Oliver Paolo Thomas

Die Platzzahl im kleinen Theater in der Rottstraße 5 in Bochum ist überschaubar, man sollte sich dringend ein Ticket sichern. Denn am 25. November 2022 besteht die letzte Möglichkeit, Martin Bretschneiders fulminanten Soloabend „Werther“ (nach Johann Wolfgang Goethe) zu sehen: Nach zehn Jahren nimmt der Schauspieler Abschied von der Rolle. Warum es ein schwerer Fehler wäre, diesen Theaterabend zu verpassen, habe ich hier im Blog bereits beschrieben. Ebenso, was das Ganze mit Camus zu tun hat (viel). 365tage-camus wollte wissen, warum Martin Bretschneider die Rolle, die er über einen so langen Zeitraum mit so viel Leidenschaft ausgefüllt hat, aufgibt.

Martin, nachdem du den „Werther“ als Solostück zehn Jahre lang mit großem Erfolg immer wieder gespielt hast, steht jetzt am 25. November im Theater an der Rottstraße in Bochum die letzte Vorstellung an. Warum hörst du auf? 

Martin Bretschneider: Werther ist in einer Zeit entstanden, als mir seine Geschichte sehr nahe war. Die Inszenierung hat mir geholfen, über eine unglückliche Liebesgeschichte hinwegzukommen. Dann hat er mich zehn Jahre lang begleitet. Es war bei den Vorstellungen, als würde ich einen jüngeren Bruder, ein jüngeres Alter Ego treffen. Inzwischen bin ich sowohl künstlerisch als auch privat an einem ganz anderen Punkt und denke, es ist Zeit, Abschied zu nehmen.

Oder wird man gar irgendwann zu alt für den so radikal liebenden jugendlichen Werther? Was ist deine persönliche Meinung: Ist eine solch extreme Hingabe an die eigenen Gefühle ein Vorrecht der Jugend? Wie es bei Camus im Sisyphos heißt: „Eine einzige Liebe, und alles ist verschlungen

M.B.: Das glaube ich nicht. Für radikale Liebe ist man nie zu alt, und sie ist schon gar kein Vorrecht der Jugend. Aber man ist allerdings hoffentlich irgendwann zu erwachsen dafür, sich selbst in den eigenen Gefühlen – besonders im eigenen Schmerz – immer wieder zu bespiegeln, sich geradezu darin zu suhlen, wie Werther es tut. Das hat etwas Egoistisches, was meinem heutigen Bild von Liebe nicht mehr entspricht. 

Du hast den Werther jetzt zehn Jahre lang gespielt – hat sich dein Verständnis der Rolle oder dein Verhältnis zur Figur Werther über die Zeit verändert?

M.B.: Nicht mein Verhältnis zu Werther, aber mein Bild von der Liebe hat sich im Laufe der Jahre sehr verändert, durchaus mehrfach. Zur Zeit der Premiere hatte ich mir geschworen, mich nie wieder so hemmungslos in eine Liebe, eine Beziehung hineinfallen zu lassen. Die ersten Vorstellungen waren damals immer ein Spiel mit dem kaum überwundenen Schmerz. Es war heilsam, mich in dieser Absolutheit und in dieser Sucht, sich den Mitmenschen mitzuteilen, selbst auf die Schippe zu nehmen. Ich würde mich jedoch niemals über ihn lustig machen. Im Gegenteil, ich liebe diesen Werther bis heute. 

Hier im Blog ist schon einiges über die Verbindung Camus-Werther und über die Verbindung Camus-Bretschneider zu lesen… Du arbeitest gerade an einem eigenen Abend zu Camus. Verrätst du schon etwas darüber?

M.B.: Der syrische Pianist Aeham Ahmad und ich bereiten gerade einen Theaterabend unter dem Titel „A Mission For Sisyphos“ vor. Aeham Ahmad hat eine dramatische Flucht aus Damaskus nach Deutschland erlebt. Unsere Performance wird die Absurdität des Umgangs der EU und Deutschlands mit Geflüchteten beleuchten. Die Verzweiflung, das Grauen, das Sterben, aber auch der Kampf und der Mut zum Weitermachen werden im Zentrum stehen. Es geht um die Revolte gegen eine Welt, die so wie sie gemacht ist, nicht zu ertragen ist. (*)

Ganz herzlichen Dank für die so persönliche Beantwortung der Fragen! Ich wünsche Dir schon jetzt viel Erfolg für A Mission For Sisyphos – und toi toi toi für die Werther-Abschiedsvorstellung!

Termin:
Werther. Nach Johann Wolfgang Goethe in einer Fassung von Hans Dreher und Martin Bretschneider. Freitag, 25. November 2022, 19.30 Uhr, ROTTSTR5 THEATER, Bochum. Tickets hier.

(*) „Die Welt in ihrer jetzigen Gestalt ist nicht zu ertragen.“ Albert Camus, Caligula, in: Dramen. Aus dem Französischen übertragen von Guido G. Meister. Rowohlt-Verlag, Reinbek b. Hamburg 1962, S. 21.

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