„Ja, ein Abend in der Provence, die vollkommene Linie eines Hügels, der Geschmack von Salz genügt, um zu erkennen, dass alles neu zu schaffen ist. Wir haben das Feuer neu zu erfinden, die Werkstätten neu zu erbauen, um den Hunger des Körpers zu beschwichtigen. Attika, die Freiheit und ihre Ernten, das Brot der Seele sind für später. Was bleibt uns mehr, als uns zuzurufen: «Sie werden nie mehr sein, oder dann für andere», und nun alles daranzusetzen, dass wenigstens jene anderen nicht beraubt sein werden.“ (1)
Kurz nach Kriegsende 1946 blickt Albert Camus in dem Essay Prometheus in der Hölle auf die überstandenen dunklen Jahre zurück, in deren Blut und Schmerz „kein Ort blieb für das Zirpen der Grillen“. Hier, im Anblick der provençalischen Landschaft, erneuert er sein Bekenntnis zum immer neuen Anfang und erinnert daran, wofür es lohnt, sisyphosgleich immer wieder den Stein zu rollen. Einige Jahrzehnte sind seither ins Land gegangen. Während an anderen Orten in dieser Welt noch immer vor allem der Hunger des Körpers zu beschwichtigen ist, an anderen Orten noch immer (oder allererst) für die Freiheit gekämpft wird, kann ich die Ernten der Freiheit genießen, von denen Camus spricht. Mich hat das Zirpen der Grillen nun mehr als zwei Wochen lang begleitet, und ich bin dankbar für eine beglückende Zeit in diesem mit Schönheit gesegneten Landstrich.
Ich danke Camus, mit dem ich mir diesen Landstrich diesmal auf neue Art erschlossen habe – ich danke meinem überaus verständnisvollen Begleiter, der klaglos mit mir diese Zeit mit Camus geteilt hat – und ich danke allen Blog-Lesern, die meine Reise verfolgt haben und mich mit so vielen freundlichen und ermunternden Kommentaren bestärkt haben. Gestärkt am Brot der Seele kehre ich in den Alltag zurück. Im Blog wird es nun mit Sicherheit wieder ruhiger werden… aber die Lebensreise mit Camus wird weitergehen. In diesem Sinne: à bientôt!
(1) Prometheus in der Hölle, aus: Heimkehr nach Tipasa, in: Literarische Essays, Rowohlt-Verlag, Hamburg 1959, S. 146f. (erstmals erschienen in Heimkehr nach Tipasa, Arche-Verlag, Deutsche Übersetzung von Monique Lang).
Sehr geehrte Frau Reif,
bin erst seit kurzem auf Ihre wunderbaren Texte aufmerksam geworden – Camus war mein Wahlschriftsteller im (Französisch-)Abitur. Sie haben eine faszinierende Fähigkeit, mich (höchstwahrscheinlich auch viele andere) durch ihre Formulierungskunst auf Ihre Streifzüge und Beobachtungen mitzunehmen. Blogs mochte ich nicht. Ich merke, wie sich meine Meinung aufgrund des Niveaus und der Lebendigkeit ihrer Schilderungen und Gedanken zu ändern beginnt. Und es schleicht sich schon ganz langsam von hinten die Ahnung der Wehmut an, wenn die 365 Tage zu Ende gegangen sein werden.
Mit freundlichen, bewundernden Grüßen
Cay Gabbe
Lieber Herr Gabbe,
haben Sie ganz herzlichen Dank für Ihren überaus freundlichen Kommentar. Es macht wirklich viel Freude, solche unmittelbare und dann auch noch so nette Resonanz auf die eigenen Texte zu bekommen. Noch mehr freut mich aber, durch diesen Blog zu erfahren, wie sehr Camus immer noch die Herzen und Gedanken der Menschen erreicht – und vielleicht ein klein wenig dazu beitragen zu können. Mit herzlichem Gruß, Anne-Kathrin Reif