Eine Foto-Ausstellung in Winterthur nimmt uns mit auf einen Spaziergang im Luberon
mit Albert Camus, René Char und Henriette Grindat: La Postérité du soleil.
Die Rubrik „Ausstellungen“ ist gewiss jene, die in diesem seit zehn Jahren geführten Blog am wenigsten gefüllt ist. Nun aber sorgt die Fotostiftung Schweiz in Winterthur für einen schönen Anlass zu einem Eintrag: Noch bis zum 8. August 2023 ist dort die Foto-Ausstellung Henriette Grindat / Albert Camus / René Char – La Postérité du soleil zu sehen. Camus-Freundinnen und -Freunde kennen vielleicht den Bildband gleichen Titels, der lange nur noch antiquarisch zu haben war, 2009 aber von Gallimard in einer großformatigen Ausgabe neu herausgebracht wurde. Er beinhaltet Fotografien von Henriette Grindat, zu denen Albert Camus kleine poetische Texte verfasst hat, und sein Dichterfreund René Char das Vorwort schrieb. Aber wie kam es dazu? Ich war dieser Geschichte bisher nicht nachgegangen und freue mich nun, dass die detaillierten Informationen zur Ausstellung darüber Auskunft geben (1):
Demnach suchte Henriette Grindat (geb. 1923 in Lausanne/Schweiz) nach ihrer Ausbildung an der Fotoschule von Gertrude Fehr in Lausanne und Vevey den Austausch mit Künstlern und Literatinnen (und umgekehrt), zwischenzeitlich auch in Paris. Dort begegnet sie 1949 ihrem späteren Ehemann, dem Schweizer Radierer Albert-Edgar Yersin (1905-1984), und lernt den 1907 geborenen französischen Dichter René Char kennen, dessen Texte sie bewundert. Zu diesem Zeitpunkt verband Char und Camus schon eine enge Freundschaft. Bekanntlich besuchte Camus seinen Freund mehrfach in dessen Heimatort L’Isle-sur-la-Sorgue in der Provence, wo jener nach dem Krieg einen Wohnsitz hat, und mietet dort zeitweise ein Landhaus. Schon 1947 bat Camus Char, ihm bei der Suche nach einem Haus in der Nähe behilflich zu sein (2). Die beiden verband nicht nur die gemeinsame Erfahrung in der Résistance, sondern auch die Liebe zur südfranzösischen Landschaft.
Char, der in den 1930er-Jahren selbst zum weiteren Kreis der Surrealisten zählte, war beeindruckt von Grindats Fotografien, die sich durch eine sehr subjektive, vom Surrealismus geprägte Bildsprache auszeichnen. Es entsteht der Plan, mit Fotografien und Texten die Stimmung dieser so geliebten Landschaft wiederzugeben. 1950 unternimmt Henriette Grindat in Begleitung von Char Streifzüge in und um L’Isle-sur-la-Sorgue. Sie fotografiert intuitiv, tastet Oberflächen von Vegetation, Topografie und Bauwerken ab, findet stille Szenen, die sich von Zeit und Ort loszulösen scheinen. 1952 verfasst Camus zu 30 ihrer Aufnahmen kurze poetische Texte, die subtilste Details reflektieren. Das Zusammenspiel ist außergewöhnlich: Die Sprache wächst aus den Bildern und erschließt in ihnen eine neue Dimension. Dennoch lässt sich für dieses Gemeinschaftswerk mit dem Titel La Postérité du soleil (dt.: Die Nachkommen der Sonne) zunächst kein Verlag finden. Erst nach dem Tod von Camus im Jahr 1960 regt sich Interesse an dem unveröffentlichten Werk. 1965 produziert der Genfer Verleger Edwin Engelberts ein luxuriöses großformatiges Portfolio mit Silbergelatine-Abzügen von Grindats Fotografien, Camus‘ Texten und einem Vorwort von Char. Als Buch erscheint La Postérité du soleil erst 1986, im Jahr, in dem Henriette Grindat sich das Leben nimmt, und zwei Jahre vor dem Tod von René Char 1988.
Geboren wurde Henriette Grindat 1923 in Lausanne. Ihr einhundertster Geburtstag am 3. Juli 2023 gibt den Anlass für diese Ausstellung und würdigt Grindat als eine der „herausragenden Schweizer Fotograf:innen des 20. Jahrhunderts, die mit ihrer subjektiven fotografischen Poesie Künstler:innen und Literat:innen begeisterte“, wie es im Pressetext der Fotostiftung heißt. In der Ausstellung La Postérité du soleil in der Fotostiftung Winterthur sind die Blätter des Portfolios von 1965 zu sehen. Die dazugehörigen französischen Originaltexte von Albert Camus wurden dafür erstmals umfassend auf deutsch übersetzt. Die Ausstellung wurde kuratiert von Teresa Gruber, Kuratorin Fotostiftung Schweiz.
AUSSTELLUNG
La Postérité du soleil, Fotostiftung Schweiz, Grüzenstrasse 45, CH–8400 Winterthur, 8. Juni bis 6. August 2023. www.fotostiftung.ch
(1) Der folgende Text basiert in großen Teilen auf der Pressemitteilung der Fotostiftung Schweiz. (2) Albert Camus in einem Brief vom 30. Juni 1947 an René Char.
VERWANDTE BEITRÄGE:
L’Isle: Die letzten Spuren von Camus im Moment ihres Verschwindens
Von glücklichen Sommertagen und dummen Schwalben
Ich habe gerade mal im Internet nach „La postérité du soleil“ und Henriette Grindat gestöbert. Dabei bin ich auf einen Youtube-Film mit einem gut 23minütigen Interview mit Henriette Grindat gestoßen (https://www.youtube.com/watch?v=jIUjw5Iow68). In den ersten gut 7 Minuten erzählt sie von der Entstehungsgeschichte der Bilderserie und man sieht eine ganze Reihe der Bilder mit den anschliessend zum Lesen eingeblendeten Camus-Texten.
Für jemanden wie mich, der es nicht nach Winterthur schafft, ein kleiner Ersatz …
Lieber Herr Löwe, ganz herzlichen Dank für diese schöne Ergänzung! Ich hoffe, ich finde bald Zeit, mir das Video in Ruhe anzuschauen. Sicher freuen sich auch andere Blog-Leserinnen und -Leser über Ihren Hinweis. Merci und freundliche Grüße, Anne-Kathrin Reif
Schade, dass auch Sie die wunderbare deutsche Sprache mit dem Gender-Doppelpunkt vergewaltigen und dieses unsägliche „Dummdeutsch“ [Robert Gernhardt] verwenden. Bitte entfernen Sie mich deshalb aus Ihrem Verteiler.
Mit freundlichen Grüßen,
Friedrich Bahmer
Sehr geehrter Herr Bahmer, Sie finden einen Link zum Abmelden zwar am Ende jeder Nachricht, aber selbstverständlich bin ich Ihnen auch gern behilflich und komme ich Ihrem Wunsch nach. Sollten Sie hier regelmäßig mitlesen, dürfte Ihnen eigentlich nicht entgangen sein, dass ich in meinen eigenen Texten keine Gender-Zeichen verwende. Allerdings maße ich mir nicht an, in Zitate Dritter einzugreifen. Die von Ihnen bemängelte Textstelle zitiert die Pressemitteilung der Fotostiftung Winterthur. Mit freundlichen Grüßen, Anne-Kathrin Reif