„Der französische Philosoph Albert Camus, der syrische Pianist Aeham Ahmad, der kosovarische Geflüchtete Atdhe Ramadani, der griechische Held Sisyphos und der algerische Arzt Bernard Rieux treffen aufeinander und unterhalten sich über die Absurdität des Daseins, den Hass auf den Tod, die Verachtung der Götter und die Liebe zum Leben.“
Das ist, laut Programmzettel kurz zusammengefasst, der Inhalt von A Mission for Sisyphos – ein Theaterabend, den der Schauspieler Martin Bretschneider gemeinsam mit Aeham Ahmad und Atdhe Ramadani erarbeitet hat, und der am kommenden Samstag, 28. Januar 2023, im Interkulturellen Zentrum in Hövelriege Premiere feiern wird.
Das klingt erstmal nach einer ziemlich wilden Mischung, die Fragen aufwirft. Wie kommen diese Protagonisten überhaupt zusammen? Was verbindet sie? Und wieso findet das ausgerechnet in einem an einen Jugend- und Fußballclub angegliederten Kulturzentrum in Hövelriege statt? Wo ist das überhaupt? Am besten, wir fragen einfach mal Martin Bretschneider.
Martin, nochmal ganz von vorn: Welche Idee liegt A Mission for Sisyphos zugrunde, was ist das Kernthema? Und wie kommt es zur Zusammenarbeit mit Aeham Ahmad und Atdhe Ramadani?
Martin Bretschneider: Die Arbeit mit Geflüchteten ist ja ein Thema meines ehrenamtlichen Engagements in Hövelriege, wo es jetzt ein interkulturelles Zentrum gibt, das sich um die Teilhabe von Menschen mit Zuwanderungshintergrund kümmert. Das Thema der Seenotrettung, die jetzt immer mehr kriminalisiert wird, interessiert mich ebenso… Deshalb war ich in Berlin bei einer Lesung von SOS-Humanity, die hieß Tatort Mittelmeer. Tatort-Stars lasen Berichte von Flüchtenden auf dem Mittelmeer, und Aeham spielte Klavier. Da haben wir uns kennengelernt, und ich war begeistert von seiner Persönlichkeit und seiner Gesprächsenergie. Wir haben uns einige Zeit später in Hövelriege getroffen und beschlossen, ein gemeinsames Projekt zu machen. Atdhe kenne ich schon seit vielen Jahren aus meiner ehrenamtlichen Jugendarbeit im SJC Hövelriege. Er kam schon als Fünfjähriger aus dem Kosovo zu uns, hat schon als Kind hier Fußball und Theater gespielt und ist inzwischen Theaterpädagoge und Schauspieler. Unterstützung für A Misson vor Sisyphos haben wir vom Landesbüro Darstellende Künste NRW bekommen, die die Projektidee toll fanden. Der Abend wird das Thema der Flucht mit dem Sisyphos-Motiv und Stücken aus den Schriften und der Gedankenwelt von Albert Camus verbinden.
Es ist kurz vor der Premiere – wie läuft die Probenarbeit bislang?
Organisatorisch war es ziemlich kompliziert, vor allem, weil Aeham inzwischen einen festen Job als Tischler angenommen hat. Nach der Arbeit auf der Baustelle kommt er zu den Proben, dazu spielt er ja noch Konzerte und hat Plattenaufnahmen… Ein verrückter Typ, im besten Sinne. Seine Energie ist sensationell. Was das Stück angeht: Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, das zu erzählen, was wir erzählen wollten.
Du sprichst von einem „Stück“ – es wird also nicht etwa eine Lesung mit verschiedenen Camus-Texten und Musik…
Genau. Es gibt eine szenische Rahmenhandlung, die alles zusammenhält. Da kommen Aeham und Athde mit Albert Camus ins Gespräch. Die Textfassung stammt von mir – wobei man das natürlich gar nicht alleine machen kann, denn wir erzählen ja auch aus Atdhes und Aehams Leben, von ihrer Flucht, von tragischen, von schrecklichen Momenten und vom Glück, endlich angekommen zu sein… Wo eine gewisse Stufe von Sicherheit erreicht ist – aber die Absurditäten trotzdem nicht aufhören.
Als Mitarbeiter des interkulturellen Zentrums in Hövelriege interessiert mich natürlich auch das Gefühl des „Gegen-Windmühlen-Ankämpfens“ von Leuten, die sich für Geflüchtete engagieren. Etwa, wenn jemand über Jahre im Status der „Duldung“ lebt, deutsch gelernt und Freunde gefunden hat, und man schafft es sogar, ihm einen Ausbildungsplatz zu vermitteln – und dann kommt die Abschiebung… Diese Sinnlosigkeitserfahrung wollte ich ebenfalls thematisieren.
Es ist aber nicht nur die Gleichung, dass jede Art Absurdität oder Vergeblichkeit sich mit dem Sisyphos-Mythos verbinden lässt, was die Verbindung zu Camus herstellt, oder? Sonst hättest du dich gewiss nicht so tief in die Philosophie von Camus eingearbeitet… Wieviel Camus kommt also ins Spiel – und wie?
Natürlich würde ich so einen Abend nie machen, nur um traurige Fakten aufzuzählen. Im Gegenteil, es geht auch um die Möglichkeiten der „Revolte“, wie Camus sagt. Oder um die Frage: Wie schafft man es, sich selbst so zu konditionieren, dass man das Engagement für bessere Zustände und den Kampf gegen Unrecht durchhält, dass man nicht irgendwann verzweifelt und zusammenbricht? In dem Zusammenhang ist für mein Lebensgefühl Die Pest unglaublich wichtig. Dr. Rieux und die Figuren um ihn herum in ihrem Kampf gegen dieses scheinbar unüberwindliche Grundübel, das hat mich total fasziniert und inspiriert. Wie bringt man sich – nicht alleine, sondern gemeinsam mit anderen – in eine Energie, um weiterzumachen.
Die Figur des Sisyphos interessiert mich auch schon vor der Strafe – seine Verachtung der Götter, seine Liebe zum Leben, sein Hass auf den Tod. Da kommen dann auch Caligula, Hochzeit in Tipasa und andere Texte ins Spiel. Tatsächlich glaube ich, dass der Abend auch gut geeignet ist als eine Art Einführung in das Denken von Albert Camus.
Es gibt ja leider bislang nur die drei Termine in Hövelriege – gibt es schon die Aussicht auf weitere Spielorte?
Im Moment bin ich noch nicht so viel dazu gekommen, aber wir strecken natürlich die Fühler aus und hoffen, dass sich über unsere vielen verschiedenen Kontakte weitere Möglichkeiten ergeben werden. Denn wir möchten natürlich, dass das Stück gesehen wird!
Martin, ich bin sehr gespannt auf den Abend! Toi toi toi für die Premiere!
Termine: 28., 29. Januar und 4. Februar, 19.30 Uhr, im Interkulturellen Zentrum Hövelriege. Karten per E-Mail über felix@sjcmagazin.de
P.S.: Hövelriege liegt übrigens in Ostwestfalen zwischen Bielefeld und Paderborn.
***
Martin Bretschneider wurde 2013 für seine grenzüberschreitende Jugendtheaterarbeit mit dem Sport- und Jugendclub Hövelriege mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet. Mehr dazu, zu seiner Person und zu seiner Beziehung zu Albert Camus hier im Blog:
Von Fußball, Völkerverständigung und die Traumbesetzung für die „Suite-Camus“. Zur Webseite von Martin Bretschneider hier, und weitere Infos (Filmographie/Showreel) hier und hier.
Caligula – grandioses Theater in der Rottstraße 5
„Man muss Werther sein oder nichts“ – oder: Von der geheimen Verwandtschaft zwischen Goethes Werther und Camus‘ Caligula
Aeham Ahmad wurde als „Pianist aus den Trümmern“ bekannt. Eine beeindruckende Begegnung war für mich sein Auftritt 2018 in Wuppertal, den ich schon damals in Verbindung mit Camus gebracht hatte:
Vom Gesang der Vögel oder Warum Weihnachten in diesem Jahr für mich einen Tag früher kam