Dass ich bei meinem Vorblick auf die anstehende Theatersaison in der vergangenen Woche mit Wuppertal begonnen habe, war einem gewissen Lokalpatriotismus geschuldet, den Sie mir hoffentlich nachsehen. Erfreulicher Weise gibt es aber auch aus anderen Häusern zu berichten, dass Camus sich auf den Spielplänen hält.
So eröffnet das Schlosstheater Moers die Saison 2019/20 am 19. September mit Camus, und zwar mit einer Bühnenbearbeitung des Romans Die Pest durch Schlosstheater-Intendant Ulrich Greb. In der Ankündigung heißt es: „Wie in einer Versuchsanordnung stellt Camus unterschiedliche Figuren und Strategien im Kampf gegen die Krankheit neben- und gegeneinander: Vom Fatalismus über Hedonismus bis zum Widerstand, von der persönlichen und ideologischen Instrumentalisierung bis zum flammenden humanistischen Plädoyer. Auch aus heutiger Perspektive wirft der Stoff Fragen auf: Befinden wir uns innerhalb oder außerhalb der Krisenregion? Wer sind die Infizierten? Und wieviel Solidarität wollen wir uns leisten?“
Mit dieser Fragestellung reiht sich die Inszenierung ein in die insgesamt fünf Premieren der Spielzeit, die das Schlosstheater ab Herbst dieses Jahres unter dem Oberbegriff „Teilen“ präsentiert.
Nicht nur diese aktuelle Perspektive scheint mir so interessant, dass ich Moers auf jeden Fall auf meine persönliche Theater-„bucket-Liste“ der kommenden Saison setze – dafür spricht auch, dass die Inszenierung eine Zusammenarbeit mit dem Puppenspieler Joost van den Branden und dem Improviser in Residence 2019 in Moers, Emilio Gordoa sein wird.* Camus – Figurentheater – Improvisierte Musik: Gleich drei meiner Lieblingsleidenschaften in einer Inszenierung vereint! Das darf ich auf keinen Fall verpassen!
Premiere ist am 19. September, 19.30 Uhr. Bereits am 15. September 2019, 11.30 Uhr, gibt es eine Matinee zu der Inszenierung. Weitere Vorstellungen: 21., 26. und 29. September; 12. und 13. Oktober 2019. Infos: www.schlosstheater-moers.de. Karten hier.
*Seit 2008 gibt es, ermöglicht durch die Kunststiftung NRW, jährlich einen Improviser in Residence als festen Bestandteil des traditionsreichen Jazzfestivals Moers. 2019 ist es der junge mexikanische Vibraphonist und Schlagzeuger Emilio Gordoa Rodriguez. 1987 in Mexico City geboren studierte er Schlagzeug und Komposition am dortigen Konservatorium; seit 2012 lebt er in Berlin.
Von Moers nach Magdeburg…
… wenn’s nicht so weit wäre dazwischen, würde sich sicherlich ein Vergleich der beiden Inszenierungen anbieten, denn auch das Theater Magdeburg bringt Die Pest auf die Bühne. Dort allerdings angekündigt als Bühnenmonolog in einer Textfassung von Regisseur Krzysztof Minkowski, (Darsteller: Ralph Opferkuch). Was mich hier ein wenig stutzig macht, ist folgende Passage aus der Ankündigung:
„Die verheerende Seuche scheint sich ihre Opfer willkürlich zu suchen: Jung und Alt, Arm und Reich. Doch Rieux entdeckt bald eine Gemeinsamkeit: Die Pest befällt nur Menschen ohne Solidarität. Im aussichtslos scheinenden Kampf gegen den Tod zeigen die Menschen ihr wahres Gesicht: selbstloses Engagement, Fatalismus, aber auch krasse Profitgier. Ein Parforceritt ums Überleben beginnt …„
Das ist freilich, mit Verlaub, totaler Quatsch. Natürlich sucht sich die Pest, wenn man sie schon personalisieren will, ihre Opfer völlig willkürlich aus – sie trifft, wie der Tod generell, wie alle Ungerechtigkeiten unseres Daseins, eben nicht nur die, die es in irgendeiner Weise verdienen, und niemand kann ihr durch Wohlverhalten entgehen. Dr. Rieux, der „Held“ und Erzähler des Romans, wird täglich zu nicht gezählten Opfern ans Krankenbett gerufen, die in gewisser Weise anonym bleiben – nirgendwo aber findet sich ein Hinweis im Roman, diese alle wären Menschen „ohne Solidarität“ gewesen. Ganz gewiss auch nicht der kleine Sohn des Untersuchungsrichters Othon, dessen qualvolles Sterben eine zentrale Szene des Romans ist und eben offenbart, dass es im Wüten der Pest kein Maß, keinen Sinn, keine Gerechtigkeit gibt. Eine zentrale Szene auch deshalb, weil sie jene erste Predigt des Pater Paneloux, in der er die Pest als Strafe Gottes rechtfertigt, ad absurdum führt: „Ah, wenigstens dieser war unschuldig!“, schleudert Rieux Paneloux zornig entgegen – und der schlägt unter dem Eindruck des gequälten Kindes in seiner zweiten Predigt einen ganz anderen Ton an.
Nun, man wird sehen, ob es sich hier nur um einen misslichen Vorab-Text der Dramaturgie handelt oder ob sich diese Fehleinschätzung irgendwie in der Bühnenfassung niederschlägt. Ich bitte jetzt schon darum: Wenn Sie eine Vorstellung in Magdeburg besuchen, berichten Sie mir doch davon! Ich werde es selbst sicher nicht schaffen, mir selbst ein Bild zu machen.
Premiere ist am 5. Oktober 2019, 19.30 Uhr. Weitere Vorstellungen: 10. und 18. Oktober 2019. Infos: www.theater-magdeburg.de