„Mir gefällt, dass ich endlich den Friedhof gefunden habe, wo man mich begraben wird. Dort werde ich gut liegen.“ (1)
Natürlich führt mein letzter Gang in Lourmarin zum Friedhof. Bei meinem letzten Besuch vor einigen Jahren an einem Oktobernachmittag brachte ich ihm eine zuvor auf der Verkehrsinsel geklaute Rose mit, weil sich im ganzen Dorf ansonsten keine auftreiben ließ. Das sollte mir diesmal nicht passieren, und so suchte ich rechtzeitig den einzigen Blumenstand auf dem (übrigens besonders schönen) Markt auf. Aber auch hier: Fehlanzeige. Nur Pfingstrosen und große Sträuße von weißen und rosa Rosen. Nun ja, zur Not. Ob ich wohl auch eine einzelne bekommen könne? Nein, bedaure. Aber man könne mit dem Preis runtergehen, es sei ja schon spät. „Eigentlich brauche ich nur eine Rose. Aber in Rot. Für Albert Camus“, erkläre ich. „Ah, bien. – Jean-Paul, schließ den Kühlwagen noch mal auf!“, ruft die Blumenhändlerin ihrem Mann zu. Warum? „Madame möchte eine Rose für Albert Camus.“ – „Ah, bien.“ Ich bekomme meine Rose. Der Weg hinaus zum Friedhof, ein ganzes Stück dorfauswärts und ausgerechnet zur Mittagszeit, ist lang und heiß. Auf dem Friedhof sind keine anderen Besucher. Still liegt das Grab mit dem verwitterten groben Stein in der Sonne da. Die Schwertlilien sind verblüht, aber ein großer Oleanderbusch biegt sich unter seinen rosafarbenen Blüten über das Grab. In der flirrenden Hitze bleibe ich eine ganze Weile dort sitzen. Stumme Zwiesprache. Die Gedanken kommen und gehen, ich will sie nicht halten. Meine Rose lasse ich dort, zum Dank für all die Inspiration und die wunderbaren Begegnungen, die Albert Camus für mich auf dieser nun zu Ende gehenden Reise gestiftet hat. Und nicht nur dafür. Noch ein letzter Blick zurück: Ich sage Adieu und weiß doch, dass er auch weiterhin in meinem Leben immer anwesend sein wird.
Zum Abschied gibt es hier noch mal einen kleinen Rundgang durch Lourmarin per Video.
(1) Camus in einem Gespräch mit Urbain Polge, wiedergegeben von Olivier Todd in Albert Camus. Ein Leben, Rowohlt-Verlag, Reinbek b. Hamburg 1999, S. 804.
Sehr geehrte Frau Reif,
nach der unübersehbaren Veröffentlichungsflut aus dem vergangenen Jahr bin ich nun eher zufällig auf Ihre Begeisterung für Camus gestoßen. Zwar bin ich nicht ganz so Camus-affin wie Sie, doch schätze ich als jemand, der in den 70ern intellektuell sozialisiert wurde und sich dabei unter anderem mit ‚linken‘ Welterklärern und -veränderern auseinandersetzte, Camus für seine erfahrungssatte Humanität und seine Bereitschaft, gegen den Strom zu schwimmen – der im Frankreich der 50er noch sehr stark Richtung Moskau floss. Er sollte für die – nach meinem Eindruck nicht nur in Frankreich kümmerlich selbstbezogen gewordenen – Intellektuellen und Literaten ein Vorbild bleiben, bzw. wieder werden. Auch wenn ich ihn, anders als Frau Radisch ( ‚Die Zeit‘) im vergangenen Jahr , besser in Lourmarin, im Licht des Südens, aufgehoben finde als im Pantheon. Aber vielleicht habe ich den ‚Zeit‘ – Artikel auch nicht mehr ganz genau in Erinnerung.
Kurz und gut, und damit zu meiner eigentlichen Anmerkung: Vor 12 Jahren war ich erstmalig im Lubéron und erkundete Land und Leute, Weine und Restaurants. Selbstverständlich besuchte ich auch Lourmarin und seinen Friedhof – und suchte Camus‘ Grab für einen Nobelpreisträger erstaunlich lange. Man kennt die französische Manie(r), jeden Kiesel und jeden Hosenknopf auf mindestens Louis IV zurückzuführen. Umso mehr war ich in Lourmarin überrascht und dann angesichts der Juli-Mittagssonne auch verärgert, dass es nicht den winzigsten Hinweis auf Camus gab.
Als ich das Grab gefunden hatte, war die Inschrift in der flirrenden Hitze kaum zu erkennen. Was immer das seinerzeit auch zu bedeuten hatte, falls es etwas zu bedeuten hatte. Oder sollte man doch argwöhnen, dass auch die Grande Nation ihre großen Geister in erster Linie zu runden und damit verwertbaren Jubiläen in Ehren hält…
Spätestens die Feierlichkeiten 2013 landauf, landab haben diesen Missstand offenbar in Form eines kleinen Wegweisers beseitigt. Jedenfalls scheinen Sie kein Problem gehabt zu haben, das Grab ‚Ihres‘ Camus zu finden.
Vielen Dank für Ihr Blog, das ich gerne regelmäßig lesen werde.
Mit frdl. Grüßen
Gisbert Horn
Lieber Herr Horn, ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht mehr, ob es 2013 ein Hinweisschild auf das Camus-Grab gab. Ich war nicht zum ersten Mal dort, und so kannte ich den Weg noch. Ich erinnere mich aber gut, dass ich beim ersten Mal – ganz so wie Sie – auch lange in der Sommerhitze auf dem Friedhof herumgeirrt bin. Wie auch immer – das Herumsuchen ist natürlich lästig. Aber: Dass sich nicht die „Grande Nation“ des Grabes wie auch immer annimmt, finde ich völlig in Ordnung. Camus ist nicht im Besitz der Grande Nation, auch wenn er einer ihrer großen Geister ist. Aber zumindest solange seine Kinder noch leben, ist er eben auch „Papà“, wie Catherine Camus ihn nennt, wenn sie von ihm spricht. Aber egal ob als „Camus“ oder „Papà“ – ich finde, das Grab passt zu ihm. Ein blühender Oleander, ein duftender Rosmarin, ein verwitterter Stein, der aussieht als stamme er aus den Ruinen von Tipasa – und ihn in Ruhe lassen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das genau die Art von Ehre ist, die ihm gefallen hätte. – Ich freue mich, dass Sie den Blog gefunden haben und gern dabeibleiben! Herzliche Grüße, Anne-Kathrin Reif
Que en paz descanse!
Liebe Frau Reif,
auch mir ist Ihr Reisetagebuch zum Begleiter geworden, auch ich lasse mich zum ersten Mal auf dieses seltsame Gebilde mit dem häßlichen Namen BLOG ein, auch ich finde, Sie sollten diese Entdeckungen, die kleinen Wunder, diese Bilder in einem Buch festhalten.
Ich freue mich schon auf den nächsten Beitrag.
Ihre Ruth Schlette