Camus im Februar: Basel verfremdet den Fremden, Wien heißt Flüchtlinge willkommen

"Der Fremde" in einer Bühnenfassung von xxxx am Theater Basel. ©Foto:

„Der Fremde“ in einer Bühnenfassung von Patrick Gusset am Theater Basel. ©Foto: Simon Hallström

Es ist doch jedes Jahr das Gleiche: Kaum angefangen nimmt das Jahr auch schon wieder Fahrt auf, und der erste Monat ist schon rum. Warum überrascht es mich nur jedesmal aufs Neue, dass das so schnell geht? Nachdem das Jahr mit dem Camus-Festival in Bonn munter losging, scheint es jetzt etwas ruhiger zu werden in Sachen Camus. Jedenfalls steht, so viel ich das überblicke, nichts Neues auf den Spielplänen. Aber ich überblicke eben auch nicht alles, denn sonst wäre mir die Inszenierung von Der Fremde am Theater Basel, die dort am 14. Januar Premiere feierte, bei der letzten Monatsvorschau schließlich nicht durchgegangen. Jetzt steht sie leider nur noch einmal, am 3. Februar, auf dem Spielplan. Schaut man den kurzen Trailer auf der Theater-Webseite an, so scheint sich Regisseur Patrick Gusset ziemlich weit von Camus‘ Romanvorlage zu entfernen. Im Text dazu heißt es:

„In der Inszenierung von Patrick Gusset, die er mit einer Gruppe Jugendlicher erarbeiten wird, stehen die Fragen nach Entsagung und Entzug im Mittelpunkt. Mit welchen Emotionen treten junge Menschen ihrer Umwelt entgegen, was deklarieren sie als relevant? Was sind die Grenzen von Moral in Bezug auf einen angeblichen Sinn des – beziehungsweise eines – Lebens? Weiter gefragt: Was ist die Moral von Grenzen? Was unterscheidet das Vertraute vom Fremden? Wann ist man Vertrauter, wann Fremder und (wie) kann das alles zusammengehen? Das Projekt des Jungen Hauses sucht mit Camus’ »Fremden« von damals nach dem »Fremden« von heute.“

Ist es gelungen? Davon müsste man sich natürlich selbst ein Bild machen. Die Rezension in der Baseler Zeitung lässt da allerdings im Vorhinein ein paar Zweifel aufkommen.

„Platt aber kommen vor allem einzelne Passagen der sprachlichen Aktualisierung daher. Dass E-Mail und Ebay aufflackern, kann als zeitgeistige Facette durchgehen. Doch das Scharfsein, das bei Camus noch erotische Dimensionen hatte, schrumpfen Gusett & Co zusammen auf ein inflationär durch den Text geisterndes „Bumsen“ und „Vögeln“. Meursaults im Original gar nicht ausformulierter Brief im Auftrag seines Nachbarn Raymond, der letztlich die fatale Handlung in Gang setzt, gerät gar zum obszönen Vulgärtext. Im meist jugendlichen Premierenpublikum sorgt das zwar für rechte Belustigung, es bleibt aber doch ein tumber, eindimensionaler Blick auf Liebe und Sexualität“,

schreibt Michael Baas unter der Überschrift Der Reiz des Unverbindlichen in der Ausgabe vom 16. Januar (mehr hier). Und obwohl es sicherlich nicht nur eine einzige „richtige“ Interpretation von Der Fremde und dessen Protagonisten Meursault gibt – die Aussage im Ankündigungstext des Theaters über Meursault, er gehe am Ende in den Tod „in der tiefen Überzeugung, dass es keine Hoffnung und keinen Trost für ihn geben wird“, lässt mich arg daran zweifeln, wieviel Camus in dieser Interpretation wohl noch drinstecken mag. Zwar ist die Person Meursault ganz ohne Zweifel vielschichtig und schwer zu fassen und nicht bloß ein Prototyp des absurden Helden, aber gerade im Hinblick auf sein Ende ist wohl kein Charakter im Oeuvre von Camus näher am jenem im Sisyphos beschriebenen Charakter des absurden Menschen, der keines Trostes bedarf.

Des Weiteren im Februar: Eine sehr Text treue Bühnenfassung von Der Fremde kann man sich weiterhin beim Euro Theater Central in Bonn anschauen (25. Februar) und Die Gerechten werden noch zwei Mal bei der Studio Bühne Essen gespielt (13. und 14. Februar). Weiterhin mit großem Erfolg läuft Das Missverständnis mit Figuren von Nikolaus Habjan am Volkstheater Wien, das inzwischen offenbar auch internationales Publikum anzieht: Seit Neuestem wird nämlich mit englischer Übertitelung gespielt, als nächstes wieder am 14. und 23. Februar sowie 19. März. Weitere Termine sind in Planung, sodass ich die Hoffnung nicht aufgebe, es vielleicht doch noch dorthin zu schaffen. Besonders schön übrigens: Die erste Vorstellung mit englischen Übertiteln findet am 14. Februar um 18 Uhr bei einem „Fest für Angekommene“ statt, das unter dem Motto „Volkstheater Welcomes You“ 150 Flüchtlinge zu einer Vorstellung von Das Missverständnis und buntem Begleitprogramm einlädt. Dafür heute ein dickes Dankeschön von 365 Tage Camus!

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