Christian Polke bei der Düsseldorfer Ringvorlesung (8): Sisyphos oder die Geburt einer existentiellen Anthropologie

„Wie soll man sich denn Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen? Hat das nicht etwas Masochistisches? Oder meint er das ironisch?“ – So in etwa lauten einig der Fragen, die mir im Zusammenhang mit Albert Camus am häufigsten gestellt werden. Mit der auf Ewigkeit angelegten Mühe des Sisyphos, der seinen Stein wieder und wieder den Berg hinauf rollen muss, hat unsere Vorstellung von Glück doch so gar nichts gemein. Glück, das ist doch gerade die Erfüllung durch eine sinnvolle Tätigkeit – oder vielleicht auch das von jeder Anstrengung befreite, genießende Dolce-far-niente! Und wie kann überhaupt der Zusammenhang von Glück und Absurdität gedacht werden?

Aufschluss zu diesem für die „Philosophie des Absurden“ zentralen Themas verspricht der Vortrag von Christian Polke bei der Düsseldorfer Camus-Ringvorlesung am morgigen Montag, 21. Juni 2021, mit dem Titel

„‚Man sollte sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen
vorstellen
‚ – Zu einer anthropologischen Figur bei Albert Camus“

Hierzu schreibt er:

Vielleicht kein anderer Autor hat der antik-mythologischen Figur des Sisyphos im 20. Jahrhundert zu einer derartigen Renaissance verholfen, wie Albert Camus. Mitten im Zweiten Weltkrieg 1942 erschienen, legt der philosophierende Schriftsteller mit Verve Zeugnis über seine Sicht auf die menschliche Situation, die Conditio Humana, ab; und zwar nicht nur in den Wirren des Krieges. Neben Prometheus – und womöglich Adam – stellt der Sisyphos ein anthropologisches Figurativ dar. In der Auslegung und Deutung dieser mythischen Figur im Angesicht der Gegenwart werden wir der Geburt einer existentiellen Anthropologie gewahr, für die Camus steht. Deren Hauptbegriffe sind Freiheit, Solidarität, das Absurde und nicht zuletzt die Idee des Glücks. Zugespitzt gefragt: Gibt es Sinn und Glück für uns nur, weil unsere Lage letztlich absurd ist? Dieser These Camus‘ gilt es kritisch nachzugehen.

Zur Person:
Prof. Dr. Christian Polke, geb. 1980 in München, Studium der ev. Theologie in Berlin, Heidelberg und Tübingen; nach Promotion und Habilitation seit 2016 Professor für Ethik im Rahmen der Systematischen Theologie an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität; u.a. Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Religionsphilosophie (DGR) und des German Pragmatism Network. Forschungsschwerpunkte: Rechts- und Politische Ethik, Religionsphilosophie, Sozialtheorie. 2010 gewann er mit einer Arbeit zur weltanschaulichen Neutralität des Staates den „John F. Templeton Award for Theological Promise“ des Heidelberger Forschungszentrums Internationale und Interdisziplinäre Theologie.

Jüngste Veröffentlichungen:
Expressiver Theismus. Vom Sinn personaler Rede von Gott, Tübingen 2020
Josiah Royce. Pragmatist, Ethicist, Philosopher of Religion (Hg., gem. mit Chr. Seibert, Tübingen 2021).

***

Die Ringvorlesung läuft bis zum 12. Juli 2021 und wird über das Internet gestreamt. Alle Termine im Blog hier

Die Vorträge mit anschließendem Zoom-Gespräch finden jeweils von 16.30 bis 18 Uhr statt. Alle Interessierten, die sich nicht über das Studierendenportal der Uni Düsseldorf anmelden können, wenden sich bitte per Mail an Oliver.Victor@uni-duesseldorf.de, um die Zugangsdaten zu erhalten. Bitte beachten Sie, das Gasthörer herzlich willkommen sind, bei der Diskussion jedoch die Studierenden Vorrang haben.

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3 Antworten zu Christian Polke bei der Düsseldorfer Ringvorlesung (8): Sisyphos oder die Geburt einer existentiellen Anthropologie

  1. Sarah Berndoz sagt:

    Liebe Anne-Kathrin Reif,
    auch wenn ich an den Ringvorlesungen selbst nicht teilnehmen kann, so sind doch Deine Ankündigungen und Anmerkungen dazu stets eine wunderbare, herausfordernde Inspiration und mehr als nur willkommener Herausriss aus der Profanität.
    Zu der sehr nachdenkenswerten Frage, auf die man, je nachdem aus welchem Blickwinkel man schaut, sich selbst sehr unterschiedliche Antworten geben kann “Gibt es Sinn und Glück für uns nur, weil unsere Lage letztlich absurd ist?“, fällt mir spontan Folgendes ein: Absurdität ist nur im Verhältnis zu einer individuell gefühlten, enorm von außen beeinflusste Normalität (sic!) verifizier- bzw. für einen selbst ausmachbar. Ebenso denke ich, dass Sinn und Glück nicht etwas Gegebenes, sondern etwas subjektiv Empfundenes, auch selbst Gestaltetes sind
    und in sofern das Konstrukt einer Kausalität zwischen Absurdität, Sinn-, und Glücksempfinden zwar eine köstliche Gedankenspielerei ist, sie m.E. rein philosophisch betrachtet, jedoch nur wenig an fundamentaler Erkenntnis oder geistiger Erweiterung beitragen kann.

    Vielleicht würde ich aber, nach dem Vortrag des Herrn Polke, alles auch ganz anders denken, nur wie gesagt, fehlt mir grad leider die Möglichkeit dazu.

    Herzlichen Dank für’s Lesen und das Deinige lesen dürfen

    Sarah

    Ceterum censeo, dass “ Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil so etwas wie zur Bibel eines jeden interessierten und reflektierten Menschen werden sollte.

    • Anne-Kathrin Reif sagt:

      Liebe Sarah, vielen Dank für deinen Kommentar. Es freut mich sehr, dass du aus den Ankündigungen Gedankenanregungen für Dich beziehen kannst, auch wenn du an den Vorlesungen nicht teilnehmen kannst! Ich hoffe, Du siehst es mir nach, dass ich hier in den Kommentaren nicht in inhaltliche philosophische Diskussionen einsteigen kann. Aber vielleicht mag ja jemand aus der Blogleserschaft antworten? Das würde mich besonders freuen. Ich wünsche Dir weiterhin gute Gedanken mit oder gegen Camus, wie auch immer. Herzliche Grüße, Anne-Kathrin

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