Zum Welttag des Buches: Meursault zu verschenken!

logo-lesefreudeGestern „Tag der Erde”, heute „Welttag des Buches”. Zweifellos sind beides, Erde und Bücher, schützenswerte Güter. Um die Erde lebenswert zu erhalten, gilt es, achtsam mit ihr umzugehen, denn wir haben nur diese eine. Um das schützenswerte Gut Buch zu erhalten gilt es hingegen, möglichst viel davon zu konsumieren. Also: lesen. Und da gibt es heute eine großartige Aktion: „Blogger schenken Lesefreude”. Vor einigen Wochen haben die Initiatoren auf Facebook dazu aufgerufen – und sage und schreibe 1010 deutschsprachige Blogs, die „irgendwas mit Büchern” zu tun haben, machen mit und verlosen heute ein Buch. www.365tage-camus.de ist die Nummer 115 auf der Liste und verlost Der Fremde – übrigens der einzige Camus-Titel unter den Teilnehmern. Die Spielregel: Das Buch wird im Blog vorgestellt. Alle, die den Beitrag kommentieren, nehmen an der Verlosung des Buches teil. Ausgelost wird am 30. April.

Also stelle ich das Buch vor, denn vielleicht lockt die Aktion ja auch Camus-Neulinge an. Alle anderen können einstweilen weghören.

Protagonist der Geschichte und Titelfigur ist Meursault, ein kleiner Büroangestellter in Algier. Sein Leben besteht aus Arbeit und schlichten Vergnügungen wie schwimmen und ins Kino gehen, und damit ist er auch ganz zufrieden. Am Tag nach der Beerdigung seiner Mutter trifft er in der Hafenbadeanstalt seine frühere Arbeitskollegin Marie und beginnt ein Verhältnis mit ihr. Sie verbringen den Tag zusammen, gehen abends ins Kino, Marie bleibt über Nacht. Sein Nachbar Raymond Sintès freundet sich mit ihm an; Meursault geht mit der ihm in allen Belangen eigenen Gleichgültigkeit darauf ein und nimmt auch gemeinsam mit Marie eine Einladung Raymonds an, einen Sonntag am Strand zu verbringen, wo ein Freund von ihm eine Hütte besitzt. Am Strand treffen sie auf zwei Araber, von denen der eine aufgrund einer Frauengeschichte in einen Streit mit Raymond verwickelt ist. Raymond und sein Freund beginnen eine Prügelei mit den beiden, bei der Raymond von einem der Araber mit einem Messer verletzt wird. Meursault hält sich raus. Er lässt sich sogar von Raymond dessen Pistole geben, damit dieser den Araber nicht erschießt. Später begegnet Meursault dem Araber noch einmal allein am Strand. Die gnadenlose brennende Sonne peinigt ihn, er fühlt sich von ihr getrieben. Nur deshalb macht er einen Schritt auf den Araber zu. Der zieht ein Messer. Die Klinge blitzt in der Sonne auf, der Strahl blendet ihn, mehr von selbst löst sich ein Schuss. Anschließend feuert Meursault aus unerfindlichen Gründen noch vier weitere Schüsse auf den Araber ab: „Vier kurze Schläge an das Tor des Unheils”. Damit endet der erste Teil des Romans. Der anschließende zweite Teil behandelt die Zeit von Meursaults Verhaftung über seine Zeit im Gefängnis bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens, bei dem er zum Tode verurteilt wird. Wegen des Mordes, oder vielleicht auch nur, weil er bei der Beerdigung seiner Mutter nicht geweint hatte und am Abend mit seiner Geliebten im Kino einen Film von Fernandel angeschaut hat.

Was für eine unspektakuläre kleine, in der Taschenbuchausgabe gerade einmal 120 Seiten lange Geschichte. Geschrieben aus der Sicht von Meursault, in einer einfachen, klaren Sprache, mit oft kurzen Sätzen – wie es der Sprache eines Mannes entspricht, der von sich selbst sagt, dass er nicht viel nachdenke. Der Fremde erschien 1942 bei Gallimard; er ist Camus’ erster veröffentlichter Roman nach dem von ihm verworfenen ersten Versuch Der glückliche Tod, es war sein literarischer Durchbruch. Das muss uns nicht überraschen, denn diese scheinbar unspektakuläre kleine Geschichte ist zugleich ein literarisches Wunderwerk. Ein Diamant. In seiner Härte, Dichte und Leuchtkraft, wobei unversehens immer wieder eine neue Facette aufblitzt, je nachdem, wie man ihn ins Licht hält, ist er kaum zu packen. Gerade diese Dichte hat dann wohl auch zu der Flut von unterschiedlichsten Deutungen des Étranger unter den verschiedensten Interpretationshinsichten geführt. Vermutlich gibt es in etwa so viele Interpretationen von Der Fremde wie es Leser gibt. Das kann im Einzelfall interessant, erhellend, überraschend, kurios oder abwegig sein. Auf jeden Fall spricht es für die literarische Meisterschaft dieses Werks, das über die Jahrzehnte offenbar ebenso wenig wie ein Diamant seinen Glanz verliert, und das immer einen Rest Geheimnis bewahren wird.

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