Erfolgreiche Premiere: Ensemble Profan bringt „Das Missverständnis“ in Solingen auf die Studiobühne

Dajana Berkenkopf (vorne) spielt die Martha, Mira Gottfried die Maria in Das Missverständnis. Das vom Ensemble Profan zur Verfügung gestellte Foto zeigt keine Stück-Szene.

Dajana Berkenkopf (vorne) spielt die Martha, Mira Gottfried die
Maria in Das Missverständnis. Das vom Kulturbüro Solingen zur
Verfügung gestellte Foto zeigt keine Stück-Szene.

Eigentlich ist diese Geschichte ja ein Thriller. Ein Mann kehrt mit seiner jungen Ehefrau zurück in sein Heimatdorf in Tschechien, das er vor 20 Jahren verlassen hatte, und mietet sich allein in einem einfachen Gasthof ein, der von seiner Mutter und seiner Schwester geführt wird. Er hat in diesen Jahren sein Glück gemacht, er ist reich, er hat in einem sonnigen Land auf der anderen Seite des Mittelmeeres gelebt, jetzt will er sein Glück mit den Zurückgelassenen teilen. Doch er gibt sich nicht gleich zu erkennen, er gibt vor, erst herausfinden zu wollen, wie er Mutter und Schwester am besten glücklich machen kann. In Wahrheit träumt er davon, erkannt und als verlorener Sohn empfangen zu werden. Doch Mutter und Schwester erkennen ihn nicht. Stattdessen verhandeln sie darüber, dass dieser Reisende ihr letztes Opfer sein soll, das letzte Opfer in einer Reihe von unglückseligen Gästen, die sie beraubt und ermordet haben, um endlich ihrem elenden Leben in diesem öden, regenreichen Landstrich entkommen zu können und ein glückliches Leben in einem sonnigen Land am Meer führen zu können. Die Mutter ist müde vom Morden, sie will einen Aufschub, dies eine Mal. Der Sohn beharrt gegen den Willen seiner Frau auf seinem Vorhaben. Noch wäre Rettung möglich. Gelegenheiten des Erkennens werden um Haaresbreite verpasst. Die Schlinge zieht sich zu. Der Sohn sieht ein, dass er es falsch angepackt hat und beschließt, abzureisen. Doch da hat er den vergifteten Tee schon getrunken…

Einen Thriller, bei dem das Ende hinlänglich bekannt ist, so zu inszenieren, dass man als Zuschauer überhaupt noch Spannung spürt, noch mitfiebert, sich wider besseres Wissen Rettung wünscht für den Verdammten und mitleidet mit denen, die ihr Unglück doch selbst verschulden – das ist eine immense Herausforderung. Und wie viel mehr noch, wenn dieser Thriller zugleich die Tiefendimension einer antiken Tragödie hat. Der Mut, sich dieser Herausforderung gestellt zu haben und mit Das Missverständnis das wohl (nicht zufällig) am seltensten gespielte Stück von Camus auf die Bühne gebracht zu haben, gehört auf jeden Fall anerkannt. Und sehr beachtlich ist es, dass das Solinger Ensemble Profan, das aus zwar erfahrenen aber eben nicht durchweg professionellen Schauspielern besteht, an dieser Aufgabe keineswegs gänzlich gescheitert ist.

Regisseur Michael Tesch siedelt die Handlung in einem schlichten, zeitlosen (Gast-)raum an; Boden, Theke, Tisch, Stühle in Schwarz vermitteln die Tristesse des Daseins, dem die beiden Mörderinnen entfliehen wollen. Zeitlos und weitgehend passend auch die Kostüme – heller Anzug für Jan, die Mutter in dicker grauer Strickjacke, die Schwester Martha im zugeknöpften schwarzen Kellnerinnen-Outfit mit Schürze, der Knecht in grober Joppe, Jans Frau Maria in Sommerkleid und Ballerinas – leider aber auch mit bravem weißen Haarband, weißem Täschchen und weißen Handschuhen ausgestattet, was gleich in mehrfacher Hinsicht unglücklich gewählt ist: Ästhetisch fällt diese 60er-Jahre-Aufmachung aus dem Gesamtkonzept, inhaltlich legt es Maria schon optisch auf die Rollenzuschreibung „brav und naiv“ fest (was ihrer Bedeutung im Stück nicht entspricht), und ganz pragmatisch gesehen ist es nicht unbedingt geschickt, bei doch sehr begrenztem gestischen Repertoire dies auch noch durch weiße Handschuhe zu betonen.

Ein vernachlässigbares Detail? Leider nicht, denn es macht die Grenzen des Ganzen deutlich. Camus hat diesem Stück eine ungeheure emotionale Wucht mitgegeben. Es ist ein schierer Albtraum. Eine Mutter tötet unwissentlich ihren Sohn. Ein Mann stirbt einen absolut sinnlosen Tod. Eine junge Frau schrammt um Haaresbreite an dem Glück vorbei, das sie so herbeisehnt. Eine zweite, die alles Glück der Welt besitzt, muss erleben, wie ihr in Sekunden alles genommen wird. Und alles war nur ein Missverständnis. Alle Last, diese emotionale Wucht zu vermitteln, liegt hier auf den Schultern eines Ensembles, das dafür nicht das professionelle Rüstzeug mitbringt und das nicht über gleich starke Darsteller verfügt. Es nimmt nicht Wunder, dass diese Last dann doch ein klein wenig zu schwer ist. Wobei Uwe Dahlhaus als Jan sie noch mit bemerkenswerter Leichtigkeit stemmt (hat aber auch die am wenigsten dramatische Rolle). Die Frauen verkörpern überzeugend den Persönlichkeitskern ihrer Protagonistinnen, bleiben dabei aber dann doch zu eindimensional. Dajana Berkenkopf legt alle Energie in Marthas Härte und Starrheit, bricht sie aber nie auf; ihre Stimme wird niemals einen schwachen Moment lang weich, wenn sie von ihrer Sehnsucht nach dem sonnigen Land (nach Wärme, Sinnlichkeit und Liebe) spricht. (Erschwerend kommt hinzu, dass – für mich nicht nachvollziehbar – eine Textfassung gewählt wurde, die das zeitgebundene französische „vous“ von Tochter zu Mutter auch tatsächlich mit „Sie“ übersetzt und uns die Figuren damit zeitlich aber auch emotional entrückt).

Renate Kemperdick, glaubhaft als müde und innerlich abgestorbene Mutter, verfügt über mehr Zwischentöne. Doch ihre Wandlung am Schluss – „mein Herz hat den Schmerz neu lernen müssen” –, wenn sie erkennen muss, wer das letzte Mordopfer war und paradoxer Weise dadurch erst wieder so lebendig wird, dass sie mit der Schuld nicht mehr weiterleben will – bleibt Lippenbekenntnis. Mira Gottfried gelingt es nicht, über die harmlose Ehefrau hinaus deutlich zu machen, welches Ausmaß an Liebe und Leid die Figur der Maria auf sich versammelt.

Einer, der seine Figur ganz und gar ausfüllt, ist freilich Markus Henning als Knecht. Kein Kunststück bei einer nahezu stummen Rolle? Doch, durchaus. Mit seinem kantigen Gesicht und kahlem Schädel ist er zwar auch eine ideale Besetzung. Aber darüber hinaus ist er mit schwerem Schritt und stechendem Blick in seinem undurchdringlichen, rätselhaften Schweigen von großer Präsenz und gibt damit der Figur das ihr angemessene Gewicht. Schließlich ist er es, der uns am Ende mit den meisten Fragen zurücklässt. Maria ruft am Ende Gott um Hilfe an, und der Knecht erscheint. Sein „Nein“ auf Marias verzweifelte Bitte bleibt sein einziges, es bleibt das letzte Wort. Es klingt noch lange nach.

Fazit: Gemessen daran, wie schwer dieser Camus-Brocken zu stemmen ist, hat das Ensemble Beachtliches geleistet und eine respektable Aufführung auf die Bühne gebracht. Das Publikum in der ausverkauften Studiobühne im Solinger Theater wusste das zu schätzen und bedachte die Akteure mit lang anhaltendem Applaus.

Weitere Aufführungen: Heute, 4. Juli, und morgen, 5. Juli, 19.30 Uhr, Theater und Konzerthaus Solingen, Konrad-Adenauer-Str. 71 (Tel. 0212/ 20 48 20). Spieldauer: Eine Stunde 40 Minuten (keine Pause). Karten: 15,40 Euro. Info: www.ensembleprofan.de und bei Facebook (dort auch Szenenfotos).

Dieser Beitrag wurde unter Bühne/ Film/ Fernsehen, Kritiken von Anne-Kathrin Reif abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Erfolgreiche Premiere: Ensemble Profan bringt „Das Missverständnis“ in Solingen auf die Studiobühne

  1. Nau, Nicole sagt:

    Liebe Anne-Kathrin Reif,
    ich möchte mich hier gerne anschließen. So dankbar erhalte auch ich Deine Blog-Beiträge. Eine tägliche Freude des Lesens!
    Dein Buch genieße ich noch immer, leider leider ist es bald zu Ende…deshalb lese ich jetzt sehr langsam!!!!
    Nicole

  2. Dr. Ruth Schlette sagt:

    Liebe Frau Reif,
    noch immer folge ich Ihnen, dankbar für die frischen Bilder und manche Inspiration.

    Zum Beispiel Saignac: Wenn Sie wieder einmal dort einkehren, fahren Sie in die Montagne de Lure, diese karge, fremde, abgeschiedene Welt, die in Jean Giono´s Romanen dargestellt ist.

    Wenn Sie noch immer planen, die Camus-Bilder von Oliver Jordan im Bonner Landesmuseum zu besuchen, gäbe es dafür einen weiteren Anlaß. Im heutigen GeneralAnzeiger lese ich:
    „Eric Andersen, laut der New York Times einer der hervorragendsten Song-Lyriker, präsentiert am Freitag, 11. Juli, im lvr-Landesmuseum ´The Stranger Cap` sowie Lieder und Texte, die er zum 100. Geburtstag von Albert Camus verfasst hat. Vor dem Konzert führt der Künstler Oliver Jordan um 19 Uhr durch seine Ausstellung ´Malerei als Revolte`. Die Kosten für Führung und Konzert betragen 16, ermäßigt zwölf Euro, für das Konzert allein zwölf, ermäßigt 8 Euro.“

    Leider können wir Sie nicht begleiten, wir machen Ferien.

    Herzliche Grüße,
    Ihre Ruth Schlette

    • Anne-Kathrin Reif sagt:

      Liebe Frau Schlette, es freut mich, dass Sie immer noch gerne dabei sind! Ganz herzlichen Dank für die Hinweise, die sicher auch für andere Blog-Leser interessant sind. Ich hoffe, ich werde den Termin wahrnehmen können. Ihnen und Ihrem Mann wünsche ich eine schönen Urlaub und gute Erholung! Ihre Anne-Kathrin Reif

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