Eine Rarität: Visconti-Verfilmung von „Der Fremde“ in Wuppertal

Filmszene aus "Der Fremde" von Lucchino Visconti mit Marcello Mastroianni als Meursault.

Szene aus „Der Fremde“ von Lucchino Visconti mit Marcello Mastroianni als Meursault. Achtung: Der Film selbst ist in Farbe! ©Editions Gallimard

„Warum ist seit vielen Jahren nun schon Viscontis Étranger-Verfilmung nicht mehr zu sehen? In Studentenzeiten sah ich den Film zigmal in den Programmkinos – nun ist er wie von der Bildfläche verschwunden!?” – Die Frage stellte kürzlich hier ein Blog-Leser, und ich freue mich, dass ich heute darauf Antwort geben kann: Ja, es stimmt, dass der Film weitgehend von der Bildfläche verschwunden  ist. Mark Tykwer, Wuppertaler Filmexperte und Betreiber des hiesigen Sommerkinos Talflimmern sowie der Filmreihe Movie in Motion, erklärt auf die Frage: „Die Lizenzsituation ist extrem undurchsichtig. Offiziell gibt es keine Kopien mehr, der Film ist (weltweit!) ohne Verleih oder Aufführungsrechte – und auch ohne Ansprechpartner.“

Nur: Ganz verschwunden ist der Film zum Glück nicht, denn eine der letzten 35mm-Kopien der deutsch-synchronisierten Fassung (vielleicht sogar die einzige, wer weiß?) befindet sich eben im Besitz von Mark Tykwer. Und jetzt kommt die richtig gute Nachricht: Wir, das heißt Mark Tykwer und 365tage-camus.de, werden den Film am
7. November in Wuppertal zeigen: Ein „Movie in Motion Spezial“ zum 100. Geburtstag von Camus. Mein Beitrag wird in einer kurzen Einführung zu Der Fremde im Werk von Camus bestehen.

Camus hat die Verfilmung seines Romans übrigens selbst nicht erlebt. Lo straniero, so der italienische Titel, kam 1967 heraus, gedreht worden war in Italien, Frankreich und Algerien.  Haben Albert Camus und der sechs Jahre ältere Luchino Visconti sich überhaupt gekannt? Der überaus gründliche Camus-Biograph Olivier Todd hat darüber nichts vermerkt. Möglich, dass die Wege der beiden sich nicht direkt gekreuzt haben. Visconti, 1906 in Mailand geboren, ging Anfang der 1930er-Jahre nach Paris; als Camus dort ankam, war Visconti aber schon wieder nach Italien zurückgekehrt. Für beide war 1942 ein entscheidendes Jahr: Camus betritt mit seinem Roman Der Fremde die literarische Bühne, Visconti dreht seinen ersten Film Ossessione – Von Liebe besessen. Die beiden dürften sich in der Folge ziemlich gewiss im Blick gehabt haben. Camus wird als Kinoliebhaber Viscontis Filme gekannt haben, der Italiener wiederum war der Pariser Szene und französischen Literatur sehr zugetan und inszenierte französische Stücke wie Les parents terribles von Jean Cocteau in Italien für das Theater. Ein Film wie Viscontis Die Verdammten, in dem er Erfahrungen aus dem antifaschistischen Widerstand verarbeitet hat, dürfte an Camus kaum vorbeigegangen sein; sein dritter Spielfilm Belissima mit Anna Magnani kam 1951 in die Kinos, 1957 dann die Dostojewski-Verfilmung Weiße Nächte, die zwar kein großer Erfolg wurde, aber den Dostojewski-Anhänger Camus dennoch interessiert haben dürfte.

Nun, das bleibt (wenn auch nahe liegende) Spekulation. Mehr über Luchino Visconti gibt es bei arte. Den Film gibt’s am:

* Donnerstag, 7. November 2013, 20 Uhr. Ort: „Gathedrale“, Alte Feuerwache, Gathe 6, Wuppertal-Elberfeld. Eintritt frei (Spenden am Ausgang möglich).

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7 Antworten zu Eine Rarität: Visconti-Verfilmung von „Der Fremde“ in Wuppertal

  1. dr. norbert koersgen sagt:

    Liebe cineasten & camus-viscontifreunde könnte es sein dass irgendjemand vor vielen jahren eine videoaufnahme aus einer TV Sendung des films aufzeichnete? und evtl. seine cassette verkaufen möchte von privat an privat? hopness dies last.

    • Anne-Kathrin Reif sagt:

      Lieber Dr. Koersgen, leider kann ich Ihnen da nicht weiterhelfen, aber vielleicht findet sich ja tatsächlich hier jemand? Auf Italienisch (z.T. mit englischen Untertiteln) kursieren aber DVDs im Internet (aktuell hat die Zeitung La Repubblica zum 40. Todestag von Visconti eine Gesamt-Edition herausgebracht). Sie finden einiges, wenn Sie „Lo Straniero“ und DVD googlen. Herzliche Grüße, Anne-Kathrin Reif

  2. Elisabeth Köster sagt:

    Liebe Leser!
    Seit Jahren bin ich auf der Suche nach dem Film „Der Fremde“ mit Mastroianni.
    Leider bin ich heute erst auf diese Seite getroffen, sonst wären mein Mann und ich letztes Jahr zu der Filmvorführung gekommen.
    Nun die Frage: Besteht die Chance, dass der Film nochmals irgendwo aufgeführt wird? Hat da jemand Informationen zu?
    Ich freue mich über eine kurze Nachricht,
    mit freundlichen Grüßen
    Elisabeth Köster

    • Manfred sagt:

      Hallo Elisabeth,

      Mir geht es wie Dir – seit Jahren bin ich auf der Suche nach dem Film. Zwar habe ich ihn auf youtube entdeckt – allerdings ist die Auflösung sehr schlecht. Daher die Frage an Dich: bist Du zwischenzeitlich fündig geworden ?

      Liebe Grüße,
      Manfred

      • Anne-Kathrin Reif sagt:

        Lieber Manfred, ich bin zwar nicht Elisabeth, aber ich kann sagen: Es ist derzeit kaum möglich, fündig zu werden. Die Rechtelage an dem Film ist momentan vollkommen ungeklärt (und undurchsichtig), weshalb es auch kaum möglich ist, ihn neu (etwa auf DVD) herauszubringen. Mit Mark Tykwer, der im Besitz der vielleicht einzigen deutsch-synchronisierten 35mm-Filmkopie ist, bin ich immer mal wieder im Gespräch, den Film nochmal zu zeigen, aber bislang gibt es nichts Konkretes. Sollte es einmal der Fall sein, werde ich es natürlich hier im Blog sofort kundtun. Da hilft also nur: dranbleiben! Herzliche Grüße, Anne-Kathrin

  3. ulrich stiewe sagt:

    Hallo Frau Reif
    Ihre tolle Idee zum 100. Geburtstag L.Viscontis „Der Fremde“ zu zeigen habe ich aufgegriffen und werde in Ihrer Geburtsstadt am 7.11. 19.30 Uhr in der“dezentrale“, Leineweberstr.15-17 (früher Schlecker Filiale) „Der Fremde“ mit einer 16 mm Kopie vorführen, die ich noch im Keller liegen hatte aus alten Kino am Kassenberg Zeiten. Sie können sich ja leider nicht teilen, so geb ich eine kurze Einführung.
    mit freundlichen Grüßen
    Ulrich Stiewe

  4. Da, ich ja „der“ o.g. Fragesteller bin, freut mich dieser Eintrag besonders; vielen Dank, Anne-Kathrin, für die flinke Recherche. Ob es nun irgendwann, irgendwie auch eine filmische Lösung für den Rest der Republik geben wird, grübele ich nun.

    Und ich frage mich auch, was das für ein Film geworden wäre, wenn nicht Marcello Mastroianni, sondern – wie ursprünglich von Visconti beabsichtigt – Alain Delon die Hauptrolle gespielt hätte…

    Es wäre ein wunderbarer Ertrag des Camus-Jahrs 2014, schafften wir’s, „Lo straniero“ von 1967 wieder in die Kinos und Fernsehsender zu bekommen. Wäre gewiß auch für Jüngere die Chance eines neuen Zugangs zum Werk von A.C.

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