Warum Bücher manchmal die bessere Gesellschaft sind

Ja, ich habe gestern der Arbeit am Schreibtisch das Glück vorgezogen und habe einen wunderbaren langen Spaziergang in der Sonne gemacht. Zu allem Überfluss gönnte ich mir dann auch noch ein Mittagessen im Ausflugslokal, wo am Montagmittag erwartungsgemäß nur wenige Tische besetzt waren. Beste Voraussetzungen also, um beim Warten auf den bergischen Pfannkuchen mit Birnen und Speck weiter in Le premier homme zu lesen. Leider wurde das Glück dann doch leicht getrübt, was sich wie so oft der nicht zu vermeidenden Gesellschaft von Mitmenschen verdankte, die sich für den Mittelpunkt der Welt halten. Die Unterhaltung des mittelalten Paares am Tisch schräg gegenüber war jedenfalls so laut, dass es einfach keine Chance gab, wegzuhören. Die Teller, die von reichhaltigem Mittagessen zeugten, waren bereits abgeräumt, zum Nachtisch gönnten sich die zwei das ein oder andere Bierchen und gefielen sich darin, genüßlich in der Schlechtigkeit der Welt zu baden. Kleiner Ausschnitt: „Ehrensold! Den Wulff, den hätt´ ich doch gevierteilt! Das dicke Geld kassieren doch sowieso immer die da oben, da machste nix. Sonst lebt man ja auch gefährlich. Die guten, die haben se ja auch alle weggemacht. Den Haider, die Käßmann, und den Martin Luther King. Und den Andreas Hofer, der für die Freiheit gekämpft hat, den haben se für 400 Franken umgebracht. Da wirste nicht mit fertig. Da muss schon so einer wie der Adolfo kommen…”. In der mit Alkohol und Selbstgefälligkeit geschwängerten Brühe, die da in aufgeweichten Gehirnwindungen vor sich hinschwappte, dümpelte noch die ein oder andere Zeitungsschlagzeile neben versprengtem Bildungsgut, das sich aus seiner seit je her brüchigen Verankerung gerissen hatte. Ich überlegte kurz, ob ich die Herrschaften bitten sollte, die Exkremente ihrer geistigen Verdauung nicht für alle hörbar am Tisch auszuscheiden sondern da, wo sie hingehören, sah aber davon ab, weil dies unweigerlich zu einem öffentlichen Streit geführt hätte, der nicht zu gewinnen war. Ich musste an das Zitat denken, das ich erst vor einigen Tagen in den Blog gesetzt hatte, wonach das hoffnungsloseste Laster das der Unwissenheit ist, die alles zu wissen vermeint. Um mit dem Herrn zu sprechen, der sich selbst allerdings durchaus für wissend hielt: Da machste nix.

Die Sonne kam mir zu Hilfe. Mit Buch und Pfannkuchen verzog ich mich auf die Terrasse, wo der Gastwirt anstandslos einen Tisch für mich eindeckte. Ich schlug das Buch auf und folgte dem kleinen Jacques/Albert durch die vor Sommerhitze glühenden Gassen seines Viertels und die Stufen hinauf in dieses spärlich möblierte Zuhause, wo im dämmrigen Zimmer eine schweigsame Mutter am Fenster saß und auf ihn wartete. Manchmal sind Bücher eindeutig die bessere Gesellschaft.

 

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