Von geschlossenen Zeitfenstern und unsichtbaren Türen in der Mauer

Ich blicke heute zurück auf zwei schöne Monate mit Camus. Und doch: Wie verschieden sie sich anfühlen diese beiden Monate! Der erste, Auszeit vom Job, allein mit Camus auf dem Land, lange Spaziergänge, Stille und weiter Raum, in den hinein sich die Gedanken entfalten konnten.  Der zweite, zurückgekehrt in die Arbeitswelt, und die Zeit ist plötzlich wieder durchgetaktet von morgens bis abends, was sich seltsamer Weise so anfühlt, als sei auch der Raum kleiner geworden. Mit dem Ergebnis, dass die Gedanken sich nicht mehr ausbreiten können, sondern alle Nase lang gegen eine Wand klatschen. Die Blog-Einträge sind immer kleineren Zeitfenstern abgerungen (schönes Wort, das: Da öffnet sich dann wieder Raum, da wird das Leben kurz mal durchgelüftet). Aber wenn immer schon fest steht, dass dieses kleine Zeitfenster mit Blogeinträgen auszufüllen ist, dann verschließt es zugleich auch wieder eine große Zahl von anderen Möglichkeiten, die frische Luft herein lassen würden. Ein geruhsames Abendessen mit Freunden, ein Kinobesuch, ein Familiensonntag oder auch ein Spaziergang alleine mit Camus, ohne gleich davon zu berichten… und schon ist das Zeitfenster wieder zu. Am freien Tag blogge ich auf Vorrat, was erstens nicht Sinn dieses Tagebuchs ist und zweitens mein Fast-aber-eben-doch-nicht-fertiges Buch auf den letzten Metern hinten rüber fallen lässt. Als ich letzten Sonntag zur Kaffee-Einladung den Labtop mitnahm, wusste ich: Es geht nicht so weiter.

Camus wird mich ganz sicher jeden Tag weiterhin begleiten. „Die Bewusstheit während der Bürostunden.” „Der Anspruch auf Glück und die geduldige Suche danach.” Kein flüchtiger Gedanke, sondern Grundstimmung. Und so oft sich Lust und Gelegenheit bieten, werde ich hier weiterhin davon erzählen und die schönsten Camus-Fundstücke teilen. Aber eben nicht mehr jeden Tag. Und vielleicht gibt es irgendwann ja auch wieder einmal diesen freien Raum, in den hinein die Gedanken ihre Flügel ausbreiten können. An Tagen wie diesen aber, wo ich schmerzlich die Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten verspüre, rufe ich mir ein Zitat in Erinnerung, das Camus in sein Tagebuch notierte (1):

„Emerson: Jede Mauer ist eine Tür.”

 

P.S. Wer jetzt nicht andauernd und dann vielleicht vergeblich nachschauen will, ob etwas Neues im Blog steht, der kann ihn einfach abonnieren. Kost´ ja auch  nix! In diesem Sinne: À bientôt!

(1) Albert Camus, Tagebücher 1951-1958. Deutsche Übersetzung von Guido G. Meister. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1991, S. 33.

 

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