Von der Hochzeit des Menschen mit der Erde und der Frage nach dem Geschlecht der Seele

Heute freue ich mich über den für mich rätselhaftesten Kommentar, den dieser Blog bisher verzeichnet (und das sind immerhin schon 274). Karen schreibt: „… wegen Camus war ich damals in Algerien. Das ist aber schon lange her. Inzwischen mag ich ihn irgendwie überhaupt nicht mehr. Ich denk, das liegt an den dazu gekommenen Jahren und dass ich eine Frau bin.”

Ich freue mich über den Kommentar, weil ich ihn so gar nicht verstehe – denn das ist ja stets ein hübscher Impuls fürs Selberdenken. Nicht dass jeder, der einmal Camus in seinem Leben für sich entdeckt, ihm dann auch ein Leben lang treu bleiben müsste. Aber das Älterwerden allein ist es sicher nicht, das jemanden von Camus entfernt. Ich habe zwar keine verlässlichen Daten über das Alter der Camus-Blog-Leser, aber mein Eindruck ist doch, dass junge Leser eher in der Minderzahl sind. Auch dazu, wie die Camus-Lektüre in meinem persönlichen Fall mit dem Älterwerden immer Schritt gehalten hat, habe ich ja im Camus-Geburtstagsbeitrag schon einmal etwas gesagt.

„... und dass ich eine Frau bin„… nun, das kann ich für mich zweifelsfrei auch be-anspruchen. Wie auch viele mir bekannte Blog-Leserinnen und sonstige Camus-Freundinnen. Noch nie hatte ich den Eindruck, es bei Camus mit einer spezifisch männlichen Weltsicht zu tun zu haben, die sich schon von daher von meiner eigenen, weil weiblichen, unterscheiden würde. Allerdings habe ich auch noch nie für mich in Anspruch genommen, im Hinblick auf die großen Fragen des Menschseins (und um die geht es schließlich bei Camus) eine spezifisch weibliche Sicht einzunehmen. Vermutlich gebe ich mich gerade unbedacht zu erkennen als jemand, der um Lichtjahre den Gender-Debatten unserer Zeit hinterherhinkt, aber sei’s drum. Für mich ist Camus ein copain, ein Wegbegleiter, ein lebenslanger Gesprächspartner, und dieses Gespräch war und ist eines von Seele zu Seele und nicht eines zwischen Mann und Frau. Dass ich ihn nebenbei einfach für verdammt attraktiv halte und was drum geben würde, hätte ich mit ihm mal eine Nacht lang in Saint Germain Tango tanzen können, steht auf einem anderen Blatt. Im Übrigen glaube ich, dass die wahrhaft großen Seelen, ganz unabhängig von ihrer leiblich gelebten Präferenz, immer beides in sich vereinen, das Männliche und das Weibliche (so wie die Engel in den Gemälden der Renaissance-Maler, bei denen man auch nie genau sagen kann, welchen Geschlechtes sie sind).

Eine Stelle gibt es allerdings bei Camus, über die ich immer stolpere, weil sie so ausdrücklich von einer wahrhaft „männlichen“ Liebe spricht. In Sommer in Algier aus der Essay-Sammlung Hochzeit des Lichts schreibt Camus:

„In dieser Zeit verbreiten die Johannisbrotbäume ihren Liebe erregenden Duft über ganz Algerien – abends , wenn nach dem Regen der feuchte Leib der Erde einen Geruch wie bittere Mandeln ausströmt und ausruht, nachdem er sich den ganzen Sommer der Sonne hingegeben hat. Aufs neue bekräftigt dieser Duft die Hochzeit des Menschen und der Erde und erweckt in uns die einzige Liebe, die wahrhaft männlich ist in dieser Welt: hochherzig und vergänglich zugleich.” (1)

Ich liebe dieses hocherotische Bild der Vereinigung von Mensch und Welt – es beschreibt eines jener Liebeserlebnisse, die den Menschen wenigstens kurzzeitig den absurden Zwiespältigkeiten seiner Existenz zu entheben vermögen. Was wiederum für Mann und Frau gleichermaßen gilt. Zwar erzählte mir unlängst in Bonn eine Hörerin meines Vortrags, dass der Duft der Johannisbrotbäume in der Tat einen ausgesprochen männlichen (und aus ihrer Sicht ziemlich penetranten) Charakter hätte. Aber ich denke dennoch, wir sollten Camus hier ausnahmsweise einmal korrigieren und männlich durch menschlich ersetzen.

(1) Albert Camus, Sommer in Algier, in: Literarische Essays, Rowohlt-Verlag, Hamburg 1959 (erstmals erschienen in Hochzeit des Lichts, Arche-Verlag, Deutsch von Peter Gan), S. 106.

 

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