Mit Camus im Stau – „Vielen Dank für Ihr Verständnis!“

Ich mag es nicht, im Stau zu stehen. Geht Ihnen vermutlich auch so. Ich denke dann immer, es wäre prima, so eine Camus’sche Wendung hinzubekommen: Ganz bewusst spüren, wie die Zeit dabei lang wird. Und mich daran freuen. Dauer wahrnehmen. Lange-Weile haben. Wo sie doch sonst immer viel zu schnell verfliegt, die Zeit. Man müsste geradezu eigens deshalb die Verkehrsnachrichten abhören, um gezielt in den nächstgelegenen Stau hineinzufahren. Leider gelingt mir diese Wendung nie. Was daran überhaupt eine Camus’sche Wendung wäre, fragen Sie? Nun, es hätte Ähnlichkeit mit Tarrou in Die Pest, der zu diesem Zweck zum Beispiel empfiehlt, Tage im Wartezimmer eines Zahnarztes auf einem unbequemen Stuhl zu verbringen, sich Vorträge in einer Sprache anhören, die man nicht versteht oder an der Theaterkasse Schlange zu stehen und dann seine Karte nicht zu benutzen.

Jedenfalls mag ich trotzdem keine Staus, und nun herrscht hier im Blog auch noch einer. Die lange Pause seit dem letzten Beitrag bedeutet nämlich keinesfalls, dass mir die Camus-Themen ausgehen würden. Haben Sie das wirklich gedacht? Nein, nein. Im Gegenteil. Von einem wunderbaren Berlin-Camus-Wochenende ist noch zu berichten, mit einem Aufenthalt im neuen Camus-Zimmer im Art Hotel Luise, einer wunderbaren Caligula-Aufführung am Berliner Ensemble und einer weniger überzeugenden von Der Fremde an der Schaubühne. In Frankreich hat Gallimard den Briefwechsel von Camus und seiner lebenslangen Geliebten Maria Casarès herausgebracht – was ich sensationell finde. Mit großem Vergnügen lese ich derzeit in Sarah Bakewells Café der Existenzialisten, was sicher noch einen schönen Weihnachtsgeschenkbuchtipp abgeben würde. Genauso wie die sehr schöne neue Graphic Novel von Jacques Ferrandez, diesmal eine Adaption von Camus‘ autobiographischem Roman Der erste Mensch. Die Zeitschrift Philosophie hat jüngst eine Sonderausgabe mit dem Titel Die Existenzialisten. Leben deine Freiheit herausgebracht (mit viel Camus drin). Und dann sind da natürlich auch noch die Camus-Termine an den Bühnen und anderswo, die Beachtung verdienen…

Sie sehen: Am Stoff mangelt es nicht. Nur an der Zeit. Die verfliegt nämlich viel zu schnell und lässt sich nicht beliebig ausdehnen. Schade eigentlich. So jeden Tag je nach Bedarf ein zwei drei Stündchen dranhängen können, wäre schon prima. Dann würde es diesen Stau hier (vielleicht) nicht geben. Immerhin: Meine persönliche Baustelle „zu viele andere Textaufträge“ ist jetzt abgeräumt, und ich fang‘ einfach mal irgendwo an, den Stau hier aufzulösen. Sollten also tatsächlich in nächster Zeit Beiträge im schnelleren Takt kommen, schalten Sie doch bitte nicht gleich Ihr Abo ab – es handelt sich nur um eine kurzfristige Maßnahme. Für heute stelle ich hier erstmal ein symbolisches „Vielen Dank für Ihr Verständnis“-Baustellen-Ende-Schild auf und wünsche allen einen wunderschönen ersten Adventssonntag. Mit herzlichen Grüßen aus dem verschneiten Bergischen Land!

 

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