Camus im November: Revolutionäre langweilen, Handpuppen rauben den Atem

Im Schauspielhaus Graz bringt Nikolaus Habjan "Das Missverständnis" mit lebensgroßen Handpuppen auf die Bühne. ©Foto: Lupi Spuma

Im Schauspielhaus Graz bringt Nikolaus Habjan „Das Missverständnis“ mit lebensgroßen Handpuppen auf die Bühne. ©Foto: Lupi Spuma

Jedesmal, wenn ich das Netz durchforste, um die Camus-Vorschau für den nächsten Monat zusammenzusuchen, schmerzt mich die Tatsache, wie wenig ich letztlich von alle dem selbst in Augenschein nehmen kann. Dieses Mal tut es aber besonders weh. Denn in Graz steht eine Inszenierung von Das Missverständnis auf dem Spielplan, die eine uralte und sehr große Liebe von mir anspricht: nämlich die zu Puppenspiel und Figurentheater. Nikolaus Habjan lässt am Theater Graz menschliche Schauspieler gemeinsam mit beinahe lebensgroßen Handpuppen agieren – und das scheint äußerst gelungen zu sein. Die Kritik in der örtlichen Kleine Zeitung der Steiermark jedenfalls überschlägt sich: „Nikolaus Habjans Interpretation des 70 Jahre alten Dramas knistert und raubt den Atem bei der Heimkehr des unerkannten Sohnes zur mörderischen Mutter und Schwester in einer böhmischen Herberge„, schreibt die Rezensentin und stellt fest, dass „die seelenlosen Figuren Abgründe unmissverständlicher (vermitteln) als mancher Mime mit Herz„. Auch das Publikum teilte offenbar die Begeisterung: „Tosender Applaus für Nikolaus Habjans Camus-Deutung mit beklemmender Ausdruckskraft„, heißt es im Vorspann des Artikels mit dem Titel „Gruselkabinett der Bestialität“ (1). (Vorstellungen: 1., 2., 9. und 22. November; Infos).

Von so einer Kritik kann man in Düsseldorf wohl nur träumen, wo die Premiere von Die Gerechten auf wenig Begeisterung gestoßen ist. „Der Regisseur Michael Gruner bringt Camus’ Die Gerechten kopflastig und ohne aktuellen Zündstoff im Großen Haus auf die Bühne„, schreibt etwa die Westdeutsche Zeitung. Das Konzept, die jungen Revolutionäre von in die Jahre gekommenen Alt-68ern darstellen zu lassen, scheint nicht recht aufgegangen zu sein. „Die ergrauten Herren und Marianne Hoika mit feuerrot gefärbten Haaren beweisen, dass sie rüstig sind und mit markanten Stimmen den zeitlosen Camus-Text in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel vortragen können. Doch von aufschäumender Leidenschaft, jugendlicher Glut oder rigoroser Schärfe, die keinen Widerspruch duldet, vermitteln sie in dieser pausenlosen 90-Minuten-Inszenierung, die an ein Hörspiel erinnert, nur selten etwas„, heißt es in der Kritik von Max Kirschner weiter (2). Positiver stellt es Anna Brockmann in Der Westen dar: „Gradlinig gespielt ist der Abend, glasklar – silbrig grau„, schreibt sie und lobt die Tatsache, dass die Inszenierung „ohne künstliche Verweise auf die Sprengstoffattentäter von heute“ auskommt (3). Nun, immerhin ist Düsseldorf ja wirklich nah genug, um mir in Kürze davon selbst ein Bild machen zu können – auch wenn es mich, zugegeben, weitaus weniger lockt als ein Ausflug nach Graz (Vorstellungen am Schauspielhaus Düsseldorf: 1., 9., 12., 15., 20., 30. November; Infos).

Bleibt zu erwähnen, dass beim kleinen Euro Theater in Bonn weiterhin Camus auf dem Spielplan steht: Der Fremde am 11. und 12. November und ebenfalls Die Gerechten am 20. und 21. November (wovon ich wenigstens letzteres immerhin schon sehen konnte). Und ebenfalls in Bonn spielt das Frings-Ensemble auch im November seine Bühnenadaption von Die Pest (13. und 16. November) sowie das von Camus inspirierte Stück VIVAT! Bums. Aus am 14., 15. November.

Eines steht jedenfalls fest: Camus bleibt auch weiterhin präsent auf deutschsprachigen Bühnen. Und wie immer gilt die herzliche Bitte an alle Blog-Leserinnen und Camus-Freunde: Berichten Sie mir doch davon! In diesem Sinne wünsche ich allen einen inspirierenden November und sage wie immer: à bientôt!

(1) Elisabeth Willgruber-Spitz, Kleine Zeitung, online-Ausgabe vom 18.10.2014. (2) Max Kirchner, Westdeutsche Zeitung, online-Ausgabe vom 19.10.2014. (3) Anna Brockmann, Der Westen, 19.10.2014.
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