Berliner Jungregisseur verfilmt Albert Camus‘ „Der Fremde“ – Camus-Kunstdruck von Oliver Jordan trägt zu Finanzierung bei

Mit diesem Kunstdruck eines seiner Camus-Porträts unterstützt der Künstler Oliver Jordan das Filmprojekt von Julian Withalm. ©Oliver Jordan

Regisseur Julian Withalm setzt das Schlusskapitel des Romans in einen Kurzfilm um. Oliver Jordan unterstützt das spannende Projekt.
365-Tage-Camus hat mit beiden gesprochen.

Der Roman Der Fremde hat nicht nur seinen damals 28-jährigen Autor Albert Camus ziemlich schlagartig berühmt gemacht, auch die Verfilmung von Luchino Visconti mit Marcello Mastroianni in der Rolle des Meursault 1967 hat Maßstäbe gesetzt. Danach hat sich kein Regisseur mehr an die Vorlage herangetraut. Bis jetzt. Der junge Berliner Regisseur Julian Withalm hat sich vorgenommen, den Schlussakt aus Camus‘ Der Fremde zu verfilmen: Jene bedeutende Szene, in der Meursault in seiner Zelle Besuch vom Gefängnispfarrer bekommt und dessen Angebot geistlichen Trostes in einem Ausbruch großen Zorns zurückweist: Die vermeintlichen Gewissheiten, die der Pfarrer ihm anbiete, seien nicht einmal ein Frauenhaar wert.

Keine komplette Neuverfilmung also, sondern nur eine 15-Minuten-Szene, ein Kurzfilm, den Withalm später auf Filmfestivals präsentieren will – gleichwohl ein ambitioniertes Projekt. Schließlich ist gerade diese kammerspielartige Szene arm an äußerlicher Handlung – dafür aber von hoher philosophischer Dichte. Kein leichtes Unterfangen, das in Filmbilder umzusetzen. Wie wird er das anpacken? Und warum überhaupt? Genau das wollte ich von Julian Withalm wissen.

Herr Withalm, was brachte Sie auf die Idee, die Schlussszene von Camus’ Roman Der Fremde neu zu verfilmen?

Julian Withalm: Anfangs habe ich ganz einfach, wie so viele vor mir, den Roman Der Fremde gelesen. Er hat mich sofort so fasziniert, dass ich weitere Werk von Camus gelesen habe – aber irgendwie kam ich gedanklich immer wieder auf den Fremden zurück. Die Art und Weise, wie Camus seine Ansichten in dieser spannenden Geschichte verpackt und mit welcher Klarheit er sie aufgeschrieben hat, hat mich einfach nicht losgelassen. Ich habe den Roman mehrmals gelesen und auch das Hörbuch angehört. Ich glaube, es war auf einer Autofahrt, während der mich die Stimme von Ulrich Matthes erneut in die Geschichte hineingezogen hat. Es war sicherlich auch die hohe Qualität des Sprechers, die dazu geführt hat, dass ich vor allem das letzte Kapitel wie gebannt in mich aufsog. Da hatte ich zum ersten Mal den Gedanken, dieses Kapitel in einem Kurzfilm umzusetzen.

Und warum gerade diese Szene? Wenn man an Der Fremde denkt, haben die meisten vermutlich als erstes die Schlüsselszene am Strand vor Augen, in der Meursault einen Araber erschießt – mithin jenen Mord begeht, dessen Gründe er nicht wirklich erklären kann, und der ihm schließlich das Todesurteil einbringt.

Die Faszination, die für mich von der Gefängnisszene ausging, war zum einen die Tatsache, dass sie mir wie ein Reflektor des gesamten Romans vorkam. Die Szene bringt die Sache sozusagen auf den Punkt. Und mich hat das Widersprüchliche dieses Aufeinandertreffens von Religion und den atheistisch-existenzialistischen Werten des Meursault interessiert. Vor allem aber auch die äußerst spannend Figurenentwicklung in dieser Szene. Der Anstaltsgeistliche, der von Meursaults Aussagen überwältigt und erschüttert wird. Meursault, der auch aufgrund der Provokation des Geistlichen zum Kern seines Inneren vordringt, all seinen Frust und seine Ansichten herausschreit und eine Läuterung erfährt. Dieses Szenario in eine filmische Form zu übertragen, das empfinde ich als herausfordernd und zugleich motivierend.

Wie Sie gerade sehr richtig beschrieben haben, wird für beide Personen, die in dieser Szene auf einander treffen, die Begegnung zum Schlüsselerlebnis. Da steckt mithin eine ziemliche Gedankenlast drin, die es gilt, ins Medium Film zu übersetzen. Wie haben Sie vor, das umzusetzen?

Anfangs erschien es mir tatsächlich nicht unbedingt als realistische Idee, diesen Teil des Buches in das audio-visuelle Medium Film zu übersetzen. Das letzte Kapitel besteht zu mehr als der Hälfte aus innerem Monolog und Reflexion, und da Film über Bilder funktioniert, stellte sich das erstmal als schwierig dar. Geholfen hat mir dabei meine Abschlussarbeit, die ich über genau diese Problematik geschrieben habe. Nämlich darüber, wie aus Literatur Film wird, und ob und in wie weit eine Literaturverfilmung dann noch mit ihrer Vorlage verglichen werden kann. Die vielen spannenden Erkenntnisse dieser Arbeit sprengen sicher den Rahmen dieses Interviews, aber ich kann in Bezug auf die Verfilmung von Der Fremde sagen, dass es mir sehr geholfen hat zu erfahren, dass es möglich ist, eine ähnliche bis gleichermaßen wirkungsvolle emotionale und auch interpretative Reaktion beim Zuschauer zu erzeugen, wie sie beim Lesen eines Romans der Fall ist: aufgrund des Spiels der Darsteller, aufgrund der Bedeutung der Bilder und aufgrund vieler Hilfsmittel in der Dramaturgie des Films. Der Film schafft es dann, als Medium für sich selbst zu stehen, und emanzipiert sich aus dem Schatten seiner Vorlage – was auch gut ist. Diese Erkenntnisse haben mir insbesondere für den ersten Teil des Kurzfilms geholfen, in dem sich Meursault alleine mit seinen Gedanken in der Gefängniszelle befindet. – Weiter empfinde ich den Dialog beziehungsweise Streit zwischen Meursault und dem Geistlichen als eine Art verbale Zusammenfassung, in wie weit diese Charaktere zu ihrer Haltung und ihrem Erlebten stehen. Teile dieser Auseinandersetzung habe ich eins zu eins übernommen.

Zweifellos ist die Szene auch eine Herausforderung für jeden Schauspieler. Mit welchen Darstellern werden Sie arbeiten?

Ich möchte hier noch nicht zu viel verraten, was die Charakterzeichnung der einzelnen Protagonisten angeht. Unsere Hauptdarsteller sind Christian Harting, der den Meursault spielt, und Marin Blülle als Anstaltsgeistlicher.

Haben Sie bei all dem gar keine Angst vor dem großen Schatten der Visconti-Verfilmung?

Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir den Film nicht im Detail angesehen. Ich denke aber auch, dass ein Vergleich hier nicht gegeben ist, weil mein Fokus doch eher woanders liegt. Visconti versucht ja, die ganze Geschichte darzustellen, ich versuche, mich nur auf diese eine Szene zu konzentrieren und sie mit meinen eigenen Ansätzen zu interpretieren. Schlussendlich wird auch das Format und die filmische Umsetzung einen Vergleich eher schwierig machen.

Inzwischen haben Sie bereits angefangen zu drehen. Wie waren die ersten Tage?

Wir haben den größten Teil bereits abgedreht, am kommenden Wochenende folgt der Rest. Im Anschluss beginnt die Nachbearbeitung. Wir haben ein sehr gutes Team und tolle Schauspieler, die alle voll mitziehen. Wie die meisten Drehs hatten wir einen gewissen Zeitdruck, mit dem wir umgehen mussten. Ich bin bisher sehr zufrieden.

Sie finanzieren Ihr Filmprojekt über Crowdfunding. Wie ist die Resonanz bisher?

Über die Crowdfunding Kampagne auf Startnext.de ist es uns gelungen, den Film zu einem Teil zu finanzieren. An dieser Stelle möchte ich nochmals allen Unterstützern meinen Dank aussprechen! Gerade Kurzfilme sind schwierig zu finanzieren, da sie keinen großen Markt haben. Eine Möglichkeit ist dann Crowdfunding, aber auch das bedeutet eine Menge Arbeit. Ich möchte hier erwähnen, dass es noch weiter Unterstützer außerhalb des Crowdfundings gibt. Insbesondere zu nennen sind hier die Albert-Camus-Gesellschaft aus Aachen und der Künster Oliver Jordan, der uns durch den Verkauf eines seiner Camus-Portraits unterstützt. Auch ihnen gilt es hier nochmals herzlich dafür zu danken!

Herr Withalm, herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Ihren Film. Ich hoffe, ich werde irgendwann die Gelegenheit haben, ihn zu sehen – und dann auch gerne davon berichten!

Regisseur Julian Withalm. ©Foto: privat

Der Regisseur:
Julian Withalm, geb. 1989 in Heidelberg, studierte bis 2019 kreative Filmproduktion mit dem Schwerpunkt Regie an der Beuth Hochschule Berlin. Bereits im Laufe seines Studiums realisierte er eine Reihe von Kurz- und Dokumentarfilmen, bei denen er das Drehbuch schrieb und Regie führte (u.a. die Kurzspielfilme Der Anruf und Was der Mond Rot aufgeht und die Dokumentarfilme Der Präparator und Nachts im Walde (Arbeitstitel). Julian Withalm lebt und arbeitet in Berlin

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Camus-Kunstdruck erwerben und das Filmprojekt unterstützen

Oliver Jordan bei seiner Camus-Ausstellung im LVR-Museum Bonn 2014. ©Foto: Anne-Kathrin Reif

Auch wenn das Crowdfunding bereits abgeschlossen ist – auch die Postproduction des Films braucht natürlich noch finanzielle Mittel. In Oliver Jordan hat Julian Withalm einen besonders prominenten Unterstützer gefunden. Der renommierte Künstler, für den die (nicht nur malerische) Auseinandersetzung mit Albert Camus zu den Lebensthemen gehört, lässt eigens einen Kunstdruck eines seiner Camus-Porträts anfertigen, wobei 50 Prozent des Reinerlöses dem Filmprojekt zukommen sollen (siehe Abbildung oben). Das Original (280 x 210 cm, Öl auf Pappe, 2013) war Teil einer Ausstellung im Rahmen der Kulturhauptstadt Marseille-Provence 2013 zum 100. Geburtstag von Albert Camus, die anschließend mit großem Zuspruch im LVR-Landesmuseum Bonn zu sehen war. Heute hängt das Original in einer Privatsammlung.

Herr Jordan, Sie unterstützen das Filmprojekt von Julian Withalm mit 50 Prozent des Reinerlöses aus dem Verkauf ihres Kunstdruckes, einem Porträt von Albert Camus. Was hat Sie an dem Projekt so überzeugt, dass Sie es auf diese Weise fördern möchten?

Oliver Jordan: Setzt man sich ganz bewusst mit den Hintergründen des gesellschaftlichen Klimawandels auseinander und dem damit einhergehenden Verlust von Mehrdeutigkeit und von Ambiguitätstoleranz wird man feststellen müssen wie sehr uns im Moment Persönlichkeiten wie Albert Camus fehlen und wie wichtig es sein könnte sich mit ihren Ideen und literarischen Figuren zu beschäftigen. Vor diesem Hintergrund war ich sehr erfreut, dass ein jüngerer Filmregisseur wie Julian Withalm bereit ist, sich mit einer literarischen Figur von Albert Camus filmisch auseinander zu setzten. Das Konzept und die Aufgabenstellung finde ich mutig. Im letzten Kapitel von Albert Camus Der Fremde heißt es nach der Auseinandersetzung Meursaults mit dem Pfarrer: „Als hätte diese große Wut mich vom Bösen geläutert, von Hoffnung entleert, öffnete ich mich angesichts dieser Nacht voller Zeichen und Sterne zum ersten Mal der zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt“.

Für mich ist das der Kernsatz des Existentialismus.

Ein literarischer Geniestreich, der durch die vielen Aufenthalte Camus‘ in Tipasa vorbereitet wurde. Diesen Aufenthalten habe ich künstlerisch mit meinen Arbeiten für die Ausstellung und das Buch Malerei als Revolte, Hommage an die Schönheit, das Licht und Camus versucht ein Denkmal zu setzen. Nun bin ich neugierig und voller positiver Erwartung, wie Julian Withalm in seiner ersten Regiearbeit nach seinem Studium es schaffen wird, die ganz besondere Atmosphäre vom letzten Kapitel filmisch umzusetzen. Dieser Mut, auch eine jüngere Generation mit einem frischen Blick auf Camus zu konfrontieren, verdient für mich meine Unterstützung.

Angaben zum Druck:
Titel: Albert Camus
Größe: 70 x 52 cm
Produktionsart: Gicléedruck durch Janzen & Sauerland GmbH & Co.KG
Größe der Auflage: 50 Exemplare
Vorzugspreis pro signiertes Exemplar: 490 Euro inkl. 19% MWSt.
Zuzüglich 12 Euro Verpackung- und Versandkosten innerhalb Deutschlands.
Der Vorzugspreis gilt bis Ende März 2020.
Ab 1. April kostet der Druck 590 Euro.
Der Druck kann direkt beim Künstler bestellt werden: oliverjordan@t-online.de

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