Albert Camus in New York – „A stranger in the city“

Stranger

©Albert Camus Estate

In der Regel beschränke ich mich hier im Blog ja auf die Ankündigung von Camus-Terminen aus dem deutschsprachigen Raum, so sie mir denn vor die Füße fallen oder ich sie aus dem Netz fische – alles andere würde wirklich zu weit führen. Aber jetzt muss ich mal eine Ausnahme machen, denn in diesem Monat ist New York einfach „the place to be“ für Camus-Freunde. Genau 70 Jahre ist es her, dass Camus seine erste und einzige Reise in die Vereinigten Staaten unternahm und dabei auch New York besuchte. „Am 10. März 1946 geht er in Le Havre an Bord des Frachters Oregon, der auch einige Passagierkabinen hat. Unter den Mitreisenden einige Beamtengattinnen, ein Konsulatsangestellter, ein Pelzhänder und ein Psychiater (…). Die Oregon ist langsam, der Komfort hält sich in Grenzen“, erzählt Camus-Biograf Olivier Todd (1). Die Reise wird vom Kulturaustauschprogramm des französischen Außenministeriums unterstützt, und Camus wird eine Reihe von Vorträgen an verschiedenen amerikanischen Universitäten halten. Aber diesen Spuren will ich jetzt gar nicht aus der Ferne nachgehen, das hebe ich mir lieber für einen eigenen Besuch dort auf, den es hoffentlich einmal geben wird. Außerdem schweife ich ab.

Anzukündigen ist nämlich ein Camus-Festival mit wirklich großartigem Programm, das nicht irgendwer sondern der Camus-Estate selbst organisiert hat (in Zusammenarbeit mit den Kuratoren Stephen Petrus und Andrew W. Mellon, Foundation Fellow bei der New-York Historical Society). Camus, a stranger in the city heißt es und findet vom 26. März bis 19. April in New York statt. Beim Blick ins Programm möchte man sich sogleich rüberbeamen, handelt es sich doch um alles andere als eine akademisch-trockene Veranstaltung. Mit den Worten der Veranstalter: „His writings not only inspire artists in music, theater, and cinema; they also help their readers to live. For these reasons, Camus: A Stranger in the City is neither a commemoration nor a retrospective; it is a celebration of a living body of work.“

Das geht am 26. März in Brooklyn gleich ganz heutig los mit einem Konzert des Pianisten und Jazz-Komponisten Ben Sidran, der im vergangenen Jahr das Album Blue Camus veröffentlicht hat, und der eigens für das Festival neue von Camus inspirierte Songs geschrieben hat. Auch Eric Andersen, den wir ja zum Glück schon einmal in Bonn erleben durften, wird an einem Abend seine wunderbaren Camus-Songs singen. In Lesungen und Gesprächsrunden werden Camus’ Aufenthalt in den Staaten und die US-amerikanische Rezeption seiner Werke beleuchtet und die Frage nach der heutigen Relevanz seines Denkens diskutiert. Für mich persönlich wären allerdings die Programmpunkte am 28. März Grund genug, mich in den Flieger zu setzen, wenn ich denn die Möglichkeit dazu hätte: Da gibt es nämlich im Anschluss an die Filmvorführung von Den Menschen so fern (Far from Men/ Loin des Hommes) ein Gespräch mit Hauptdarsteller (und Camus-Fan) Viggo Mortensen, der anschließend im Miller Theatre der Columbia University auch noch Camus’ Rede The human crisis vortragen wird, die Camus  an exakt diesem Ort 70 Jahre zuvor gehalten hat. Der wunderbare Film von David Oelhoffen wird noch ein weiteres Mal gezeigt, dann in Gegenüberstellung zum Visconti-Klassiker Der Fremde mit Marcello Mastroianni. Dass ich auch selbst mal kurz in New York über eine Leinwand flimmern werde, ist irgendwie eine lustige Vorstellung und natürlich nur deshalb von Bedeutung, weil Joël Calmettes Doku Lektüre fürs Leben (Vivre avec CamusLiving with Camus) im Rahmen des Festivals zu sehen sein wird, ebenso wie sein Film über das Verhältnis von Sartre und Camus A Fractured Friendship. Eine der vielen Personen, die Joël Calmettes für seinen Film Vivre avec Camus getroffen hat und die darin von – eben – ihrem „Leben mit Camus“ erzählen, ist die legendäre New Yorker Musikerin Patti Smith. Sie wird zum Ende des Festivals am 19. April mit dem Schriftsteller und Journalisten Kevin Baker über den Einfluss von Camus’ Werk auf ihr eigenes Schaffen sprechen und Auszüge aus ihren Lieblingswerken lesen. Ob sie sich nicht vielleicht doch auch dazu bewegen lassen wird, den ein oder anderen Song zu spielen? Um das herauszufinden müsste man nach New York reisen…

Zum gesamten Programm geht es hier. Auf der Facebook-Seite  https://www.facebook.com/CamusNYC2016/ gibt es darüber hinaus umfangreiche Informationen zu allen Programmpunkten.

(1) Olivier Todd, Albert Camus. Ein Leben, Rowohlt-Verlag, Reinbek b. Hamburg 1999, S. 436.
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